Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
nötig sein.«
»Wie Sie wünschen. Und vergessen Sie nicht: zehn Minuten.« Ostrom schloss die Tür mit einem Schlüssel an einer schweren Kette auf, dann öffnete er sie.
Felder betrat das Zimmer, dann wartete er, während die Tür abgesperrt wurde und seine Augen sich an das Schummerlicht gewöhnten. Langsam zeichnete sich der Raum klarer ab: Bett, Tisch und Stuhl, alles mit dem Boden verschraubt, das Bücherregal, das inzwischen mit alten Büchern vollgestellt war, viele davon in Leder gebunden, der Plastikblumentopf. Und dort hinter dem Tisch saß Constance Greene, vor ihr weder Notizbuch noch Notizpapier; sie saß völlig aufrecht und gefasst da. Felder nahm an, dass sie meditiert hatte. Wie auch immer, die tiefliegenden, kalten Augen, die seinen Blick erwiderten, hatten nichts Leeres, Tagtraumhaftes. Unbewusst hielt Felder den Atem an.
»Constance«, sagte er, während er vor dem Tisch stand und die Hände auf dem Rücken verschränkt hielt wie ein Schuljunge.
Einen Augenblick lang gab sie ihm keine Antwort. Dann nickte sie knapp, so dass ihr kurzgeschnittenes Haar hin- und herschwang. »Dr. Felder.«
Seit zwei Wochen dachte Felder nun schon an diesen Augenblick, und doch: Allein schon diese tiefe, altmodische Stimme zu hören, brachte seine sorgsam vorbereiteten Gedanken gehörig durcheinander. »Hören Sie, Constance, ich wollte Ihnen nur sagen … nun ja, dass es mir sehr leidtut. Alles.«
Constance blickte ihn mit ihren beunruhigenden Augen an, antwortete aber nicht.
»Ich weiß, welchen Schmerz und welches Leid und welche Demütigung ich Ihnen bereitet habe, aber Sie müssen verstehen: Es ist das Letzte, das Allerletzte, was ich einem Patienten je zufügen möchte.« Vor allem nicht einer Patientin, die so einzigartig ist wie Sie, dachte er.
»Ihre Entschuldigung ist angenommen.«
»In meinem Eifer, Ihnen zu helfen, habe ich in meiner Wachsamkeit nachgelassen. Ich habe mich täuschen lassen. So wie wir uns alle haben täuschen lassen.«
Dieser letzte Versuch, das Gesicht zu wahren, blieb unbeantwortet.
In beflissenem Tonfall fügte er hinzu: »Geht es Ihnen gut, Constance?«
»So gut, wie man es erwarten kann.«
Felder zuckte innerlich zusammen. Einen Augenblick lang senkte sich Stille über das kleine Zimmer, während er überlegte, was er darauf erwidern sollte.
»Ich habe einen Fehler gemacht«, sagte er schließlich. »Aber ich habe daraus gelernt. Ja, ich habe mich an etwas erinnert. Und zwar an eine Maxime, die wir im Medizinstudium gelernt haben: Es gibt keine Abkürzungen für wirksame Heilbehandlungen.«
Constance rutschte ein wenig hin und her auf ihrem Stuhl und bewegte die Hände. Erst jetzt fiel Felder auf, dass sie einen Verband am rechten Daumen trug.
»Es ist kein Geheimnis, dass mich Ihr Fall besonders stark interessiert«, fuhr er fort. »Ja, ich darf wohl sagen, dass niemand mehr Mitgefühl oder Verständnis für Ihr Leiden aufbringt als ich.«
Worauf ein kurzes, kaltes Lächeln in ihrem Gesicht erschien. »Leiden«, wiederholte sie.
»Ich habe nur eine kleine Bitte: Ob wir die Therapie dort fortsetzen könnten, wo wir aufgehört haben, ganz von vorn anfangen könnten, und zwar im Geiste gegenseitigen –«
»Nein«, unterbrach Constance. Ihre Stimme klang gedämpft, hatte aber dennoch einen so eisenharten Ton, dass es Felder augenblicklich kalt den Rücken herunterlief.
Er schluckte. »Wie bitte?«
Leise, aber entschlossen, ohne den Blick von ihm abzuwenden, sagte sie: »Wie können Sie auch nur daran denken, Ihre sogenannte Therapie fortzusetzen? Wegen Ihres mangelnden Urteilsvermögens wurde ich entführt und angegriffen. Wegen Ihres überwältigenden Verlangens, sich beruflich einer Patientin zu nähern, die Sie für exotisch hielten, wurde ich gefangen gehalten und wäre beinahe ums Leben gekommen. Beleidigen Sie nicht meine Intelligenz, indem Sie mich zur Komplizin Ihres Versagens machen. Wie konnten Sie erwarten, dass ich Ihnen je wieder vertrauen würde – und ist Vertrauen denn nicht das fundamentale Erfordernis für jede therapeutische Behandlung? Soll heißen, natürlich unter der Voraussetzung, dass ich eine Therapie brauche – was eine beleidigende Unterstellung Ihrerseits darstellt.«
So ungestüm die Leidenschaftlichkeit aufgeflammt war, so rasch war sie verflogen. Felder machte den Mund auf, schloss ihn aber gleich wieder. Es gab nichts zu sagen.
In die Stille hinein klopfte es. »Dr. Felder?« Ostroms Stimme ertönte von der anderen Seite der
Weitere Kostenlose Bücher