Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
einlaufen. Und sie soll ihre Kleidung waschen und bügeln.«
Corrie drehte sich zu ihm um. »Aber –«
»Ich erwarte Sie in der Bibliothek.«
Anderthalb Stunden später fühlte sich Corrie wie neugeboren und betrat die Bibliothek. Der Raum lag im Dunkeln, im Kamin brannte kein Feuer. Reglos und fast unsichtbar saß Pendergast in einer hinteren Ecke in einem Ohrensessel. Er verströmte irgendetwas – eine rastlose Ruhe, wenn es denn so etwas gab –, das ein merkwürdiges Gefühl in ihr auslöste.
Sie nahm ihm gegenüber Platz. Die Finger aneinandergelegt, die Augen halb geschlossen, saß Pendergast da. Weil sie unerklärlich nervös war, berichtete sie ihm hastig von ihren Erlebnissen. Sie erzählte ihm von Betterton, seinen Anschuldigungen und Theorien über Pendergast, von der Yacht und ihrem verrückten Entschluss, ins Haus in der East End, das er ihr gegenüber erwähnt hatte, einzubrechen.
Während sie sprach, hatte Pendergast distanziert gewirkt, beinahe so, als würde er ihr überhaupt nicht zuhören. Aber die Erwähnung des Hauses schien sein Interesse zu wecken.
»Sie haben einen Einbruch begangen.«
»Ich weiß, ich weiß.« Corrie errötete. »Ich war dumm, aber Sie wissen ja bereits, dass …« Sie versuchte zu lachen, was aber keine entsprechende Belustigung – oder gar eine Reaktion – in ihm auslöste. Pendergast benahm sich seltsamer als sonst. Sie atmete tief durch und fuhr fort: »Das Haus sah aus, als stehe es seit Jahren leer. Also bin ich eingebrochen. Und Sie werden nicht glauben, was ich gefunden habe. Es ist eine Art Nazi-Unterschlupf. Stapel von Mein Kampf im Keller, alte Funkgerätschaften und sogar ein Folterraum. Oben sah es aus, als hätten die Leute gepackt, als wollten sie abhauen. Ich habe ein Zimmer voll mit Dokumenten gefunden, die kurz zuvor geschreddert worden waren.« Sie hielt inne, wartete. Immer noch keine Reaktion. »Ich habe mich durch die Dokumente gewühlt, weil ich dachte, dass sie vielleicht wichtig sind. Viele davon waren mit einem Hakenkreuz versehen und auf den Zweiten Weltkrieg datiert. Einige trugen die Aufschrift STRENG GEHEIM. Und dann habe ich den Namen Esterhazy gesehen.«
Das riss Pendergast aus seiner Lethargie. »Esterhazy?«
»Der Mädchenname Ihrer verstorbenen Frau, richtig? Ich habe das durch Recherchen im Internet herausgefunden.«
Pendergast neigte den Kopf. Gott, er sah wirklich furchtbar aus.
»Wie auch immer«, fuhr sie fort. »Ich hab so viele Dokumente, wie ich konnte, in meinen Rucksack gestopft. Aber dann …« Sie unterbrach sich. Die Erinnerung war noch zu frisch. »Einer der Nazis hat mich erwischt. Er wollte mich umbringen. Ich hab den Dreckskerl mit Pfefferspray eingenebelt und konnte fliehen. Seitdem geht mir der Arsch auf Grundeis, bin ich auf der Flucht, hab in Obdachlosenunterkünften übernachtet und im Bryant Park rumgelungert. Ich bin nicht in meiner Wohnung gewesen. Ich bin nicht an der Uni gewesen. Die ganze Zeit habe ich nur versucht, Sie zu erreichen!« Auf einmal war sie den Tränen nahe. Sie unterdrückte sie mit aller Kraft. »Aber Sie sind nicht ans Telefon gegangen. Ich bin auch nicht ins Dakota reingekommen, diese Doormen sind ja wie der KGB.«
Als er nichts darauf erwiderte, griff sie in ihren Rucksack, zog einen Stapel Papiere heraus und legte sie auf einen Beistelltisch. »Hier sind sie.«
Pendergast sah die Dokumente nicht an. Offenbar schwebte er wieder in ganz anderen Sphären. Jetzt, da sich ihr Anflug von Angst gelegt hatte, sah Corrie ihn sich genauer an. Er war schockierend dünn, ja mager, und im Schummerlicht konnte sie die Ringe unter seinen Augen erkennen und wie blass er war. Aber am meisten überraschte sie sein Gebaren. Normalerweise bewegte er sich träge, aber man hatte das Gefühl, dass es die Trägheit einer Katze war: eine gespannte Feder, bereit, im nächsten Moment zuzuschlagen. Doch den Eindruck hatte Corrie jetzt nicht. Pendergast wirkte unkonzentriert, distanziert, kaum an ihrer Geschichte interessiert. Was mit ihr geschehen war, die Gefahr, in die sie sich um seinetwillen begeben hatte, das schien ihn nicht zu kümmern.
»Pendergast, ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sehen … irgendwie komisch aus. Entschuldigen Sie, dass ich das sage, aber es ist wirklich so.«
Das tat er mit einer Handbewegung ab, wie eine lästige Fliege. »Diese sogenannten Nazis. Wissen die, wie Sie heißen?«
»Nein.«
»Haben Sie irgendetwas zurückgelassen, das die möglicherweise zu Ihrer
Weitere Kostenlose Bücher