Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
beeindruckende Sammlung.« Sie faltete die Hände über ihrer Stickereiarbeit. »Wie auch immer, Alexander Wintour ist jung verstorben. Er hat nie geheiratet, und seine Schwester hat angeblich viel von seinem künstlerischen Werk geerbt, außer einer Sammlung von Gemälden, die, glaube ich, der New-York Historical Society gespendet wurde. Die Mappen und Notizbücher müssen wohl an ihren Sohn weitervererbt worden sein. Der Sohn und seine wohlhabende Frau hatten nur ein Kind – eine Tochter, Alexanders Großnichte. Sie lebt noch und wohnt hier in Southport. Wir hier im Museum hegen wenig Zweifel, dass sich Wintours Skizzenbücher noch immer in ihrer Bibliothek befinden, zusammen mit den Sammlungen der Briefe und Manuskripte ihres Großvaters. Natürlich würden wir diese liebend gern haben, aber …« Die Frau lächelte.
Felder presste die Hände vor lauter Aufregung fest zusammen. »Das sind wunderbare Nachrichten. Sagen Sie mir, wo diese Urgroßnichte wohnt, bitte, damit ich ihr einen Besuch abstatten kann.«
Das Lächeln der Frau erstarb. »Nun.« Sie zögerte kurz. »Also das ist ein bisschen ein Problem. Ich haben Ihnen keine unberechtigten Hoffnungen machen wollen.«
»Was meinen Sie damit?«
Wieder zögerte die Frau. »Ich sagte Ihnen ja, ich weiß, wo Sie die Skizzenbücher finden können. Aber nicht, dass Sie sie sehen können.«
Felder blickte sie ungläubig an. »Und warum nicht?«
»Miss Wintour – nun, ich möchte nicht drum herumreden, aber sie ist ein wenig seltsam, schon seit ihrer Kindheit. Geht nie aus, hat nie Gesellschaft, trifft sich mit niemandem. Nach dem Tod ihrer Eltern hat sie das Haus nicht mehr verlassen. Und ihr fürchterlicher Diener …« Die Frau schüttelte den Kopf. »Es ist ein Trauerspiel, wirklich, ihre Eltern waren solche Stützen der Gesellschaft.«
»Aber ihre Bibliothek –?«, begann Felder.
»Oh, viele Leute haben bereits versucht, Zutritt zu bekommen – Forscher und dergleichen, wissen Sie, vor allem die Briefe von Henry James und Grover Cleveland sind von historischer und literarischer Bedeutung –, aber sie hat alle abgewiesen. Jeden Einzelnen. Eine Delegation aus Harvard ist extra hierhergekommen, um sich die Bierstadt-Briefe anzusehen. Die haben ihr ein hübsches Sümmchen dafür geboten, sagen jedenfalls die Leute. Aber sie hat ihnen nicht einmal die Tür aufgemacht.« Die Frau beugte sich vor und tippte sich an die Schläfe. »Plemplem«, flüsterte sie vertraulich.
»Es gibt … gar nichts, was ich tun könnte? Die Angelegenheit ist schrecklich wichtig.«
»Offen gestanden, wäre es ein Wunder, wenn sie Sie ins Haus ließe. Ich sage das zwar nur höchst ungern, aber ich weiß von gar nicht so wenigen Forschern an anderen Universitäten, die nur«, sie senkte die Stimme, »darauf warten, dass sie nicht mehr unter uns ist und den Zutritt nicht mehr blockieren kann.«
Felder stand auf.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr helfen konnte.«
Felder seufzte. »Ich bin den weiten Weg aus New York hergekommen. Solange ich hier bin, kann ich ja versuchen, Miss Wintour meine Aufwartung zu machen.«
Ein mitleidsvoller Ausdruck trat in das Gesicht der Frau.
»Können Sie mir bitte sagen, wo ich ihr Haus finden kann? Es kann doch nicht schaden, einmal bei ihr anzuklopfen, oder?«
»Es kann nicht schaden, aber ich an Ihrer Stelle würde mir keine Hoffnungen machen.«
»Das mache ich schon nicht. Wenn ich vielleicht die Adresse bekommen könnte –« Felder zog seine handgeschriebene Notiz aus der Tasche und wollte sich die Adresse notieren.
»Oh, die werden Sie nicht brauchen. Sie können das Haus gar nicht verfehlen. Die große Villa in der Center Street, nur etwas weiter die Straße herunter, hinter der Bibliothek.«
»Doch nicht … der alte Kasten?«, fragte Felder, dessen Stimmung noch tiefer sank.
»Genau der. Schrecklich, wie sie das Familienanwesen hat verkommen lassen. Ein echter Schandfleck in unserer Gemeinde. Wie gesagt, nicht wenige hier warten nur darauf …« Ihre Stimme verklang auf schickliche Weise, als sie sich wieder ihrer Stickerei zuwandte.
21
D r. John Felder fuhr langsam, ganz langsam die Center Street hinunter. Hinter ihm wirbelten die vertrockneten Dezember-Blätter auf. Er hielt den Kopf gesenkt, als wollte er sich hinter dem Armaturenbrett seines Volvos verstecken. Die Niedergeschlagenheit, die er empfand, kam ihm völlig unverhältnismäßig vor, verglichen mit der Enttäuschung, die er gerade eben erlebt hatte. Aber er
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