Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
ausgeführt wie ein militärischer Feldzug. Der Tatort verströmte eine Atmosphäre der Selbstsicherheit, ja Arroganz des Mörders.
Und in der Tat: Während D’Agosta alles eingehend musterte, beschlich ihn ein Gefühl von déjà vu. Etwas an diesem Tatort erinnerte ihn an etwas anderes, und während er den Gedanken im Kopf bewegte, wurde ihm klar, worum es sich handelte. Der Tatort sah aus und fühlte sich an wie ein Diorama in einem Museum – alles war meisterlich am richtigen Ort plaziert mit der Absicht, einen Eindruck, eine Illusion, einen visuellen Effekt zu erzielen.
Aber was für einen Effekt? Und warum?
Er warf Gibbs einen kurzen Blick zu, der in der Hocke saß und den Schriftzug auf dem Oberkörper untersuchte. Die aufgestellten Scheinwerferlampen warfen seine vielfältigen Schatten auf den Tatort. »Diesmal hat der Täter einen Handschuh getragen.«
D’Agosta nickte. Eine interessante Beobachtung. Seine Meinung von Gibbs erhöhte sich um eine Stufe.
Offen gesagt, fand D’Agosta es mehr als zweifelhaft, dass Pendergasts Bruder hinter der Sache steckte. Er sah keinerlei Zusammenhang zwischen dem Modus Operandi des Mörders und dem, was Diogenes in der Vergangenheit verbrochen hatte. Was das Motiv anging, hatte Diogenes, anders als bei seinen früheren Mordserien, diesmal keinen erkennbaren Grund, die zufällig ausgewählten Opfer zu töten. Körpergröße, Gewicht und Statur des Mannes, den er auf den Überwachungsbändern gesehen hatte, stimmten zwar einigermaßen überein, aber er bewegte sich nicht auf die geschmeidige Art, die ihm an Diogenes immer aufgefallen war. Die Augen waren anders. Außerdem kam ihm Diogenes überhaupt nicht vor wie diese Psychos, die sich selbst verstümmelten und die Körperteile hinterher an den Tatorten zurückließen. Und schließlich war da noch sein – vermeintlicher – Sturz in einen Vulkan auf Sizilien. Die einzige Zeugin war von seinem Tod absolut überzeugt. Und die Frau war eine verdammt gute Zeugin, auch wenn sie selbst mehr als nur ein wenig verrückt war.
Pendergast hatte sich geweigert, ihm zu sagen, warum er seinen Bruder für den Mörder hielt. Alles in allem hatte D’Agosta das Gefühl, dass Pendergasts seltsame Idee der tiefen Depression infolge des Mordes an seiner Frau entsprang, kombiniert mit einer Überdosis Drogen. Im Rückblick tat es ihm leid, dass er versucht hatte, Pendergast in den Fall hineinzuziehen – und war verdammt erleichtert, dass der Special Agent nicht am Tatort aufgekreuzt war.
Gibbs erhob sich nach seiner ausführlichen Begutachtung der Leiche. »Lieutenant, allmählich glaube ich, dass wir es hier mit zwei Killern zu tun haben könnten. Vielleicht eine Art von Leopold-und-Loeb-Partnerschaft.«
»Kann sein. Wir haben aber nur eine Person auf Video, etliche blutige Fußabdrücke und ein Messer.«
»Völlig richtig. Aber denken Sie mal darüber nach: Alle drei Hotels verfügen über extrem gute Sicherheitsvorkehrungen. Die wimmeln vor Angestellten. Jedes Mal ist unser Mörder reingegangen und rausgekommen, ohne überrascht, aufgehalten, unterbrochen oder herausgefordert zu werden. Die einzige Erklärung wäre, dass er einen Komplizen hatte – einen Späher.«
D’Agosta nickte langsam.
»Unser Mörder macht die Drecksarbeit. Er zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Er ist der Typ, der in die Kamera winkt und sagt: Hallo, Mama, guck mal! Aber irgendwo da draußen gibt es einen Komplizen – der genau das Gegenteil ist. Der unsichtbar ist, in den Hintergrund rückt, alles sieht und hört. Die beiden haben keinerlei Kontakt während der Ausführung der Tat, außer dass sie geheim und fortlaufend kommunizieren.«
»Über ein Headset oder ein ähnliches Gerät.«
»Genau.«
D’Agosta gefiel die Idee auf Anhieb. »Also suchen wir nach diesem Typen. Weil er auf unseren Security-Videos sein muss.«
»Mag sein. Aber er hat sich natürlich sehr sorgfältig getarnt.«
Plötzlich fiel aus dem Schlafzimmer ein langer Schatten in den Raum direkt auf die Leiche. D’Agosta erschrak. Kurz darauf erschien eine hochgewachsene, ganz in Schwarz gekleidete Gestalt, von hinten erhellt, das blonde Haar ein heller Kranz um das umschattete Gesicht, so dass sie nicht aussah wie ein Engel, sondern wie ein gruseliger Wiedergänger, ein Nachtgespenst.
»Zwei Mörder, sagen Sie?«, ließ sich eine honigweiche Stimme vernehmen.
»Pendergast«, sagte D’Agosta. »Was zum Teufel …? Wie sind Sie denn hier reingekommen?«
»Auf demselben Weg
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