Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
teils Deutsch, allerdings abgeschwächt durch den Wohlklang einer Sprache, die wie Portugiesisch klang. Sein Gesicht, inzwischen sauber, war so blass und zart, dass die blauen Adern unter der Haut zu sehen waren. Er hatte dunkle Augenringe, wie blaue Flecken, das dünne Haar klebte ihm schweißnass am Kopf.
»Wenn du die Polizei meinst«, sagte Pendergast mit einer Stimme wie Trockeneis, »ich habe sie nicht informiert. Noch nicht.«
»Nicht die Polizei …«, sagte der Junge. »Sondern sie. «
»Sie?«
»Die anderen. Meinen … meinen Bruder.«
Das wurde wieder mit tiefem Schweigen quittiert. Und dann sagte Pendergast in seltsamem Tonfall: »Deinen Bruder?«
Der Junge hustete und versuchte, sich aufzusetzen. »Mehr Wasser, bitte.«
Pendergast zog seine 45er aus dem Holster, legte sie außer Reichweite auf einen Tisch und ging zu dem Jungen, legte ihm ein paar Kissen unter den Kopf und gab ihm noch einen Schluck Wasser zu trinken. Diesmal trank er gierig und leerte das Glas.
»Ich hab Hunger.«
»Du bekommst bald etwas zu essen.« Pendergast setzte sich wieder und steckte die 45er zurück ins Holster. »Also. Du hast von deinem Bruder gesprochen.«
»Meinem Bruder.«
Pendergast schaute ihn ungeduldig an. »Ja. Erzähl mir von diesem Bruder.«
»Er heißt Alban. Wir sind … Zwillinge. Er ist der, der die Morde begeht. Er hat mich geschnitten. Er findet das lustig. Aber ich bin entkommen. Ist er mir gefolgt?« Furcht hatte sich in seine Stimme geschlichen.
Pendergast erhob sich. Im schummrigen Zimmer wirkte seine schlanke Gestalt wie ein Geist. Er trat ans Fenster mit dem zugezogenen Vorhang, drehte sich um und sagte leise: »Ich will versuchen, dich zu verstehen. Du hast einen Zwillingsbruder, der Menschen in Hotels in New York ermordet. Er hat dich gefangen gehalten, dir die Körperteile amputiert – ein Ohrläppchen, einen Finger und einen Zeh – und diese an den Tatorten zurückgelassen.«
»Ja.«
»Und warum bist du zu mir gekommen?«
»Du bist … mein Vater. Oder nicht? Alban hat davon gesprochen. Er redet viel mit anderen über dich; sie glauben nicht, dass ich lausche. Oder dass ich verstehe.«
Pendergast stand ganz still da und sagte lange Zeit nichts. Und dann ging er zum Stuhl zurück und ließ sich darauf nieder, beinahe so, als hätte er Schmerzen. »Vielleicht«, sagte er und fuhr sich mit der blassen Hand über die Stirn, »solltest du am Anfang beginnen. Erzähl mir alles, was du weißt. Wo du geboren bist, unter welchen Umständen, wer dein Bruder Alban ist und was ihr, du und er, hier in New York macht.«
»Ich will es versuchen. Ich weiß nicht viel.«
»Gib dein Bestes.«
»Ich wurde in … Brasilien geboren. Der Ort heißt Nova Godói.«
Pendergast erschrak. »Deine Mutter war –«
»Ich habe Mutter nie kennengelernt. Alban war der gute Zwilling. Ich der … schlechte Zwilling.«
»Und wie ist dein Name?«
»Ich habe keinen Namen. Nur gute Zwillinge bekommen Namen. Ich … Siebenundvierzig.«
»Was sind diese guten und schlechten Zwillinge? Was bedeutet das?«
»Ich weiß nicht, wie es funktioniert. Nicht genau. Gute Zwillinge bekommen all die guten Dinge, die schlechten Sachen kriegen die schlechten Zwillinge. Gute Zwillinge gehen zur Schule, haben Sport, bekommen Ausbildung. Sie essen gutes Essen. Wir … arbeiten auf den Feldern.«
Langsam erhob sich Pendergast von seinem Stuhl – ein Schatten, der in stummer Verwunderung wuchs. »Diese Stadt, Nova Godói, ist also voll von Zwillingen?«
Die Junge nickte.
»Und dein Zwillingsbruder, dieser Alban, er begeht die Morde?«
»Er … liebt es.«
»Warum mordet er?«
Der Junge zuckte mit den Schultern.
»Und du bist entkommen? Wie?«
»Die haben mich für dümmer gehalten, als ich bin. Ich habe sie genarrt, bin abgehauen.« Kurzes, hicksendes Schluchzen. »Ich hoffe, die folgen mir nicht.«
»Wo hat man dich festgehalten?«
»Das war … unter der Erde. Da war ein langer Tunnel, alt, ganz kalt. Sie haben mich in … riesigem Ofen, kalt, groß wie ein Zimmer. Ziegel schmutzig, Fußboden schmutzig. Große Metalltür. Letztes Mal haben sie vergessen, sie abzuschließen.«
»Und?«
»Ich bin gelaufen, bin immer weitergelaufen.«
»Wie hast du mich gefunden?«
»Ich habe sie sagen gehört, dass du in schickem Haus wohnst. Dakota-Haus. Also hab ich gefragt. Ein Fremder hat mir erzählt, hat mir geholfen, hat mich in ein gelbes Auto gesetzt. Hat mir das hier geschenkt.« Er zeigte auf ein paar zusammengeknüllte
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