Pendragon - Der Anfang
als hätte sie ein kleines Kind vor sich. Er musste unbedingt begreifen, was sie sagte. »Das ist ganz wichtig«, begann sie. »Wenn wir die Klamotten zusammenhaben, ist es dunkel, und meine innere Stimme sagt mir, dass der Ort, an den wir gehen, im Dunkeln nicht besonders sicher ist.«
Mark dachte nach. Sie mussten in ein gefährliches Stadtviertel, und gefährliche Stadtviertel wurden nachts noch viel gefährlicher. Bestimmt standen ihre Chancen günstiger, wenn sie es am Tag versuchten. In erster Linie war es wichtig, die Sachen abzuschicken und nicht Hals über Kopf in ein Schlamassel zu geraten.
»Du hast recht«, meinte er. »Ich kann nicht mehr klar denken.«
»Doch, kannst zu«, sagte Courtney. »Du bist bloß aufgeregt. Wir besorgen alles und treffen uns morgen früh hier bei mir.«
Das klang vernünftig. Morgen war der Tag der Tage. Courtney suchte nach einem Stift und Papier, um zwei neue Listen zu schreiben. Dann nahm sie das Pergament mit Bobbys Anweisungen in die Hand. Lange Zeit blickte sie auf das gelbliche Papier mit Bobbys Handschrift. Mark sah, dass sie nachdachte. Er wartete geduldig. Endlich blickte sie ihn an. »Wie sah sie aus?«
»Wie sah wer aus?«, fragte Mark verwundert.
»Osa. Sie gab dir doch den Ring. Wie war sie?«
Natürlich. Beinahe hatte Mark es vergessen. Er kannte eine Person aus Bobbys unglaublicher Geschichte. Sie war bei ihm gewesen. Mark legte die zusammengerollten Pergamente auf den Tisch und ließ seine Gedanken zu dem Zwischenfall in der vergangenen Nacht schweifen.
»Sie war wunderbar«, murmelte er. »Am besten erinnere ich mich an ihren Blick. Sie sah mich an, und ich fühlte mich … sicher.« Mark starrte auf den Ring an seinem Finger und fuhr fort: »Und nun ist sie tot.«
Beide trauerten minutenlang schweigend um die Frau, die sie nur durch Bobbys Journal kannten. Dann machten sie sich an Bobbys Aufstellung. Jeder suchte sich die Gegenstände heraus, die er leicht beschaffen konnte; dann setzten sie zwei Listen auf, und nachdem sie sich für sieben Uhr morgens verabredet hatten, trennten sie sich und gingen an die Arbeit.
Mark lief nach Hause und nahm die Pergamente mit. Bobby hatte ihn gebeten, sie so behandeln, als bestünden sie aus reinem Gold, und das hatte er auch vor. Mark kannte ein Versteck, in das kein Mitglied seiner Familie eingeweiht war. Auf dem Dachboden stapelten sich alte Möbel. Ganz weit hinten stand ein alter Schreibtisch, der schon vor Marks Geburt nicht mehr benutzt worden war. Die Schublade war verschlossen, und seine Eltern
hatten nie versucht sie zu öffnen, da sie keinen Schlüssel dafür besaßen. Den Schlüssel hatte Mark. Er hatte ihn unter der vorstehenden Kante der Schreibplatte gefunden, als er acht Jahre alt gewesen war. Seinen Eltern hatte er nichts davon gesagt, weil es sie nicht interessierte; deshalb war dies das beste Versteck für seine geheimsten Schätze. In der großen Schublade lag ein Stapel fast neuwertiger Mad-Hefte, Sammelkarten von Yankee-Stars – Derek Jeter, Bernie Williams und Mariano Rivera -, ein paar Star-Wars-Figuren in Originalverpackung, ein Zwischenzeugnis aus der siebten Klasse mit zwei Sechsen … und eine Menge anderer Kleinigkeiten, die nur für Mark von besonderem Wert waren.
Mark stieg oft auf den Dachboden, um seine Schätze zu begutachten. Dabei fühlte er sich, als würde er alte Freunde besuchen. Besonders gerne betrachtete er sein altes Spielzeug. Jetzt war er zu alt, um es noch zu benutzen, aber es erinnerte ihn an den Spaß, den es ihm früher bereitet hatte.
Dieses Vergnügen war sein Geheimnis, das niemanden etwas anging.
Als er die Schublade an diesem Tag öffnete, betrachtete er seine gehorteten Kostbarkeiten so nüchtern, als würden sie ihm gar nicht gehören. Auf eine Art traf das auch zu. Sie gehörten dem alten Mark, dem unschuldigen Mark von gestern, dessen größte Sorge es war, die Hausaufgaben rechtzeitig zu schaffen und den Kampf gegen die Akne zu gewinnen, die sich auf seiner Nase breitmachte. Das war Vergangenheit. Heute musste er sich mit Dingen beschäftigen, bei denen es nicht nur um Leben und Tod auf der anderen Seite des Universums ging, sondern auch um Fragen nach der Realität seines eigenen Daseins. Erst als Mark die Schreibtischschublade öffnete, wurde ihm bewusst, wie sehr er sich in den vergangenen Stunden verändert hatte. Gern hätte er die Chewbacca-Figur in die Hand genommen und einen Urschrei ausgestoßen. Er wollte in einem Mad-Heft blättern und
Weitere Kostenlose Bücher