Pendragon - Der Anfang
verrottet. Bestimmt stand ich in einem der ersten Tunnel, die damals von der großen Höhle aus angelegt worden waren. Ich überlegte, wie lange das wohl zurücklag. Jahre? Jahrzehnte? Jahrhunderte? Außerdem fragte ich mich, was Rellin und sein Begleiter dort gemacht hatten. Die Antwort fand ich
nach wenigen Metern. Wie bei manchen anderen Gängen auch entdeckte ich eine kleine Kammer, die seitlich in den Fels gehauen worden war. Doch im Gegensatz zu dem Raum, in dem ich schlief, hatte dieser eine Holztür. Misstrauisch sah ich mich nach allen Seiten um, ob mich jemand beobachtete. Dann öffnete ich die Tür und schlüpfte hinein.
Der Raum dahinter war doppelt so groß wie der, in dem ich die Nacht verbracht hatte. Er war vollgestopft mit Werkzeug. Zuerst glaubte ich, dass hier die Bergbauwerkzeuge aufbewahrt wurden, aber bei näherem Hinsehen erkannte ich die Wahrheit. Es war gar kein Werkzeug, hier lagerten ihre Waffen! Ich fand Hunderte von Speeren, wie Onkel Press sie bei unserer Schlittenfahrt benutzt hatte. Überrascht betrachtete ich die scharfen Metallspitzen, die im schwachen Licht einer Laterne glänzten. Außerhalb der Minen waren den Milago Metallwerkzeuge verboten, und so ging ich davon aus, dass sie auch keine Waffen besitzen durften – egal, aus welchem Material sie bestanden.
Entlang einer Wand waren die Speere aufgereiht. Daneben sah ich unzählige Pfeilbündel. Es müssen Tausende gewesen sein. An der nächsten Wand hingen Bogen. Ungefähr hundert Stück. Eine ansehnliche Waffenkammer! Dann entdeckte ich etwas, was keinen Sinn ergab. Große Körbe waren in einer Ecke gestapelt. Sie sahen genauso aus wie die Körbe, in denen die Bergleute Glaze transportierten. Die Behälter waren voll, aber nicht mit Glaze. Ich ging hinüber und zog einen der Gegenstände heraus. Es war ein kurzer, kräftiger Stock, der etwa fünfzehn Zentimeter lang war. An einem Ende hingen zwei dünne Lederriemen, die ungefähr fünfunddreißig Zentimeter lang waren. Am anderen Ende der Riemen befand sich ein kleiner Lederbeutel. Ich starrte das seltsame Ding an und überlegte, wozu es gut sein sollte. Dann wusste ich es. Eine Schleuder! Eine altmodische Schleuder! Die Typen hatten kein Gummiband, und deshalb war es keine Schleuder, die
man spannte und dann Steine abschoss. Bei diesem Ding musste man mit dem Stock ausholen, um den Stein zu schleudern. In den Körben lagen etliche hundert dieser Geräte.
Während ich dort stand und die Schleuder in der Hand hielt, kam mir ein trauriger Gedanke. Rellin hatte recht. Die Milago waren nicht in der Lage, gegen Kagans Ritter zu kämpfen. Diese Schleudern waren einfach erbärmlich. Natürlich, jeder kennt die Geschichte von David und Goliath, aber das ist bloß eine Sage. Wieso glaubten die Milago, sie hätten mit diesen Spielzeugen eine Chance gegen ausgebildete Ritter in Rüstungen? Die Speere sahen etwas gefährlicher aus. Die Pfeile auch, aber konnten die Milago überhaupt damit umgehen? Plötzlich schienen mir Rellins Sorgen berechtigt zu sein. Wenn sie so gegen die Bedoowan antraten, würden die Milago abgeschlachtet werden.
Gerade wollte ich die Schleuder zurücklegen, als mir jemand von hinten über die Schulter griff und sie mir aus der Hand nahm! Überrascht drehte ich mich um und sah …
Figgis. Er tänzelte um mich herum und schwang die Schleuder über dem Kopf.
»Hast du deine Meinung geändert?«, krähte er. »Bist du zum Handeln bereit?«
»Ich möchte nichts kaufen«, erklärte ich so bestimmt wie möglich.
»Nein? Ich habe viele Sachen, die du gebrauchen kannst«, sagte er mit zahnlosem Grinsen. »Wie wär’s damit?«
Er zog etwas aus der Gürteltasche und hielt es mir entgegen. Es war ein rotes Schweizer Armeemesser.
»Das gehört mir!«, brüllte ich und riss es ihm aus der Hand. Das Geheimnis, wieso mein Rucksack durchwühlt worden war, war gelüftet. Figgis leistete keinen Widerstand. Er lachte krächzend.
»Ich weiß, was du wirklich brauchst«, sagte er verschlagen. »Ich weiß es, ich weiß es.«
»Was brauche ich denn?« Allmählich wurde ich ungeduldig.
»Du brauchst Tak«, verkündete er. »Ich bin der Einzige, der dir Tak geben kann.«
Tak. Schon wieder dieses Wort.
»Was ist Tak?«, fragte ich.
Wieder lachte er und griff in die Tasche.
»Tak ist die Antwort«, erklärte er ehrfürchtig. Gerade wollte er etwas herausziehen … als Rellin eintrat.
»Figgis!«, schrie er.
Sofort zog Figgis die leere Hand aus der Tasche. Er sah unendlich
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