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Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Widerspenstige
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liefen zwischen ihnen. Sie kamen an dem Sägewerk vorbei. Delia stellte
fest, daß Nat sich etwas sonderbar bewegte, und bald sah sie, daß er hinkte.
    Trotz Nats kühler Begrüßung sah sich Delia aufgeregt und neugierig
um. Hier sollte also ein völlig neues Leben für sie beginnen!
    Weiß Gott,
es hätte keinen schöneren Ort dafür geben können. In der Luft lag der aromatische Duft von frischem Kiefern- und
Zedernholz, aber wie in Boston fehlten auch die durchdringenden Gerüche von Fisch, Teer und Seetang nicht. Die Bäume auf den
Anhöhen erinnerten sie an schlanke, große Soldaten. Die untergehende Sonne
vergoldete die Wellen. Aus dem Sägewerk drangen die regelmäßigen Axtschläge
eines Arbeiters.
    Ein paar Männer bearbeiteten einen Baumstamm. Sie unterbrachen
ihre Arbeit, als Delia vorüberkam, und sahen ihr mit offenem Mund nach. Dann hoben sie die Hände und winkten Nat zu. Einer der
Männer hielt eine schwere Axt in der Hand, der zweite hinter ihm ein Breitbeil.
    Meg deutete auf den Mann mit dem Breitbeil und blickte Delia
herausfordernd an. »So hat Papa seinen Fuß verloren ...«
    Delia staunte. Ihr war das Hinken aufgefallen, aber sie hätte es
nicht für möglich gehalten, daß jemand, der nur einen Fuß hatte, so gut gehen
konnte wie Nat.
    »Sie haben
nur einen Fuß?«
    Er blickte unsicher zur Seite. »Hat Ihnen das Tyl nicht gesagt?
Ich habe früher öfter hier im Sägewerk gearbeitet, wenn meine Mary ...« Er
schwieg und wurde rot. »Ich meine, wenn wir etwas Geld brauchten für das Haus.
Es geschah im letzten März, genau ein Jahr, bevor dann Mary ...«
    Seine Stimme versagte, und Delia vermutete,
daß er sagen wollte, der Unfall sei ein Jahr vor dem Tod seiner Frau
geschehen. Offenbar trauerte er noch immer um sie und brachte es nicht über
sich, ihren Namen auszusprechen. Delia dachte: Vermutlich ist es für Nat ein
Fehler, so schnell wieder zu heiraten. Aber als ihr Blick auf das magere
Gesicht von Meg fiel, verstand sie, warum er es tat.
    »Das Beil ist mir aus der Hand gerutscht«,
erzählte Nat, »und ich habe mir die Zehen abgeschnitten. Die Wunde hat sich
entzündet, und Tyl hat erklärt, daß der Fuß abgenommen werden muß. Obadia
Kemble ist der Schreiner von Merrymeeting, und er hat mir einen neuen Fuß aus
Nußbaumholz geschnitzt. Sie müssen sich aber keine Gedanken machen. Ich kann
für eine Frau sorgen«, fügte er steif hinzu. »Ich bearbeite meine Farm noch
genausogut wie alle anderen.«
    »Großer Gott, Sie haben einen Holzfuß?« rief Delia. Sie konnte es
noch immer nicht glauben. »Darf ich ihn sehen?«
    Nat war von dieser Vorstellung peinlich berührt, und Delia
bedauerte ihre unüberlegte Frage sofort. Wie es aussah, mochte sie Nat ohnehin
nicht besonders. Wenn sie sich nicht zusammennahm, war sie im Handumdrehen
wieder auf der Sagadahoc Maiden und auf dem Rückweg nach Boston.
    »Das würde sich wohl kaum schicken ...«, murmelte Nat, aber Meg
zupfte ihn am Ärmel.
    »Zeig ihr den Fuß, Papa!«
    »Zeig ihr den Fuß, Papa!« echote Tildy.
    Nat rieb sich versonnen die Nase, und ein
Lächeln huschte über sein ernstes Gesicht, als er die erwartungsvollen Blicke
seiner beiden Kinder auf sich gerichtet sah. »Na ja ... warum eigentlich
nicht?«
    »Ach, lassen Sie nur«, wehrte Delia verlegen
ab.
    Aber Nat hinkte zu einem Baumstamm, der in der Nähe lag, und
setzte sich. Mit einem geübten Kick befreite er sich von einem Stiefel, zog
den gestrickten Socken aus und streckte Delia das Bein entgegen. Dabei
lächelte er sie verschmitzt an, und sie bekam einen Eindruck davon, was für ein
humorvoller Mann Nat gewesen sein mußte, bevor ihn die Tragödien in seinem
Leben so schwer heimgesucht hatten.
    »Sehen Sie, er hat einen Holzfuß!« erklärte Meg zufrieden und
blickte Delia triumphierend an, denn sie rechnete damit, daß die fremde Frau
jetzt voller Entsetzen auf und davon laufen würde.
    Delia beugte sich neugierig vor und betrachtete die Prothese. Es
war ein meisterhaft geschnitzter Fuß und hatte sogar fünf Zehen. Anstelle des
Knöchels befand sich ein Scharnier, so daß Nat den Fuß beinahe wie mit einem
richtigen Gelenk bewegen konnte. Der Fuß sah verblüffend echt aus, und Delia
hätte ihn am liebsten berührt, um sich zu vergewissern, daß er wirklich aus
Holz war.
    »Nat, er
ist wundervoll ...«
    »Also wirklich, Nathaniel Parker, Sie sollten
sich schämen!«
    Delia schrak zusammen, drehte sich um und sah
sich der schnaubenden Sara Kemble gegenüber. Sie hatte die

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