Penelope Williamson
Schichtwechsel heulte. Dann folgte sie ihm
und half ihm dabei, es den Mädchen verständlich zu machen. Sie drückte Noreen
an sich, und sie weinten zusammen. Merry weinte nicht. Sie saß auf dem Schoß
ihres Vaters und drückte sich an ihn. Ihr Summen war die süßeste, traurigste
Musik, die Emma je gehört hatte.
Danach
blieb sie eine Weile bei den Mädchen und gab Jacko die Flasche, als Mrs. Hale
ihn herüberbrachte. Shay wusch die tote Bria und kleidete sie für die
Totenwache an – er machte das allein. Die Totenwache begann traurig genug.
Brias Bruder war der Vorbeter, während sie den Rosenkranz sprachen. Mit seiner
tiefen Priesterstimme intonierte er die Sätze langsam und melodisch. Er verwandelte
sie in einen glorreichen Choral der Hoffnung und des Glaubens. Doch sein
Gesicht blieb sehr blaß.
Emma
kniete zwischen den anderen, schloß die Augen und lauschte auf das Klicken der
Perlen, mit denen die >Ave Marias< und die >Vaterunser< gezählt
wurden. Sie wußte, Bria hätte die Musik der Rosenkränze gefallen. Und was dann
folgte auch.
Colin, der
Barbier, holte den Dudelsack hervor, setzte das Mundstück an und erfüllte die
Nacht mit so schrillen, volltönenden und traurigen Klagen, daß es jedem durch
Mark und Bein ging. Doch dann gesellten sich eine Fiedel und ein Akkordeon
dazu. Die Musik wurde laut und fröhlich, und es dauerte nicht lange, bis die
Eisen der Schuhsohlen klapperten und die Petroleumlampe schwankte, als tanze
die kleine Hütte auf ihren Pfählen.
Jemand
sagte etwas, das einen anderen zum Lachen brachte, und bald wurde die
Unterhaltung so munter wie die Musik. Vater O'Reilly reichte ein Tablett mit
Tonpfeifen und einer Schale Tabak herum. Die Männer füllten die Becher aus dem
Bierkrug, der im Spülstein stand, und Krüge mit Poitín machten die
Runde. Bald wurde es heiß in der Küche mit den vielen Menschen und den
brennenden Kerzen. Die Luft war dick vom Tabakrauch und dem Malzgeruch des
Biers.
Die Frauen drängten sich um den
Tisch und tranken ununterbrochen Tee. Emma stand am Rand der Gruppe und hörte
zu, ohne jedoch dazuzugehören. Die Frauen waren nicht unhöflich. Sie wußten jedoch
nicht, was sie mit ihr anfangen sollten, und deshalb beachteten sie Emma nicht
sonderlich.
»Er hat
die Flasche sofort angenommen, Gott sei Dank ...«, berichtete Mrs. Hale, als
Betreuerin des kleinen Jacko schenkte man ihr die meiste Aufmerksamkeit, »...
nachdem die arme Bria ihn nicht mehr stillen konnte. Und das kann ich wirklich
sagen: So ein liebes Kind wie ihn hat es noch nie gegeben. Er macht überhaupt
keine Umstände. Der süße Kleine liegt stundenlang friedlich in seiner Wiege,
macht Blasen aus seiner Spucke und lacht.«
»Das
Lächeln hat er von seinem Vater«, sagte eine Frau.
»Und die
Haare von seiner Mutter.«
Sie blickten alle hinüber zu
Bria in ihrem Sarg, deren Haare wie ein roter Fächer über das weiße Satinkissen
gebreitet waren.
Alle bis
auf Emma ...
Sie ging durch die offene Tür
hinaus und stand allein auf dem Treppenabsatz. Doch die Nacht schenkte ihr
keinen Trost. Die Welt um sie herum verschwamm in einer dicken, weißen salzigen
Wolke. Sie dämpfte manche Geräusche und verstärkte andere. Emma konnte das
leise Schlürfen der Flut und das Rollen der Kiesel am Strand hinter dem Haus
hören.
Am Strand,
wo Bria gestorben war ...
Emma legte den Kopf in den
Nacken und blickte hinauf in die weiße Unendlichkeit. Sie hatte geglaubt, keine
Tränen mehr zu haben, doch sie kamen von neuem, quollen aus ihren Augen und
rollten über ihre Wangen in die Haare.
Ich kann es nicht ertragen,
dachte sie. Gott muß ein Ende machen, denn ich ertrage dieses Leben keinen
Augenblick länger.
Am
nächsten Tag würde die Totenmesse gelesen werden, und sie würden Bria auf dem
Friedhof von Saint Mary inmitten der umgestürzten, verwitterten und bemoosten
Grabsteine begraben. Ihr Grab würde eine Zeitlang eine frische Narbe in der
Erde sein, doch in wenigen Wochen würde das Gras wieder wachsen, und im Winter
würden Schnee und Regen beginnen, den neuen glatten Stein aufzurauhen. Im
Frühjahr würde Emma Veilchen pflanzen, und sie würden blühen.
Mit der
Zeit, das wußte Emma, würden ihr die Tränen nicht mehr so schnell kommen, und
was ihr jetzt unerträglich erschien, würde beinahe unmerklich erträglich
geworden sein. Doch ihr Herz würde den Kummer festhalten. Es würde ihn
festhalten wie einen Geliebten. Denn ihr Herz wußte, daß es manchen Verlust
gab, über den man
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