Penelope Williamson
niemals hinwegkam.
Als die
Totenwache zu Ende ging, war der Nebel so dick wie Buttermilch geworden.
Gruppen von zwei oder drei Besuchern, ganze Familien oder einzelne Personen
tauchten die Fingerspitzen in den Weihwasserkessel und erhielten von Vater
O'Reilly den Segen Dia is Maire Dhuit, bevor sie in der weiß verhangenen
Nacht verschwanden.
Im Haus
wurde es wieder still.
Emma half
den Mädchen beim Auskleiden, und sie legten sich für den Rest der Nacht in das weiße Eisenbett. Sie beugte sich
hinunter, strich die roten Locken aus Merrys Stirn und küßte ihre weiche rosige
Haut.
Merry
summte.
»Sie sagt, Mama will uns nicht allein lassen«, erklärte
Noreen. Emma umfaßte Merrys Gesicht mit den Händen. Die Wangen des kleinen
Mädchen waren feucht und klebrig von Tränen. »Natürlich nicht, Schätzchen, denn
sie hat euch alle sehr geliebt. Aber sie hat jetzt Ruhe gefunden und ist im
Himmel.«
Merrys Summen klang ärgerlich,
und sie schüttelte heftig den Kopf, aber diesmal zuckte Noreen nur die Schultern.
Emma legte
die Decke ordentlich um Merrys rundes Kinn mit dem Grübchen. »Gute Nacht, ihr
beiden«, flüsterte sie. Doch ihre Kehle war so wund, daß sie die Worte kaum
hervorbrachte. Als sie sich umdrehte und gehen wollte, sagte Noreen mit leiser gepreßter
Stimme: »Miss Emma, legen Sie sich eine Weile zu uns?«
Also
löschte Emma die Lampe und legte sich neben die Mädchen auf den Quilt mit dem
Diamant-Muster. Sie lag in der Dunkelheit neben Brias Töchtern in dieser
zweiten Nacht, die sie ohne Mutter verbringen würden. Durch die offene
Schlafzimmertür hörte sie Shay und Brias Bruder reden. Das heißt, der Priester
redete, Brias Mann blieb stumm. Als die Mädchen schließlich schliefen, und Emma
hinaus in die Küche ging, war er allein. Er stand mitten auf dem abgetretenen
braunen Linoleum, als wisse er nicht genau, wie er dorthin gekommen war.
Der
schwarze Taft ihres Trauerkleides raschelte, als sie neben ihn trat. Sie legte
ihm die Hand auf den Rücken. Er drehte sich langsam um, so daß ihre Hand einen
Augenblick lang an dem schwarzen Tuch seiner Jacke zu kleben schien, bevor sie
nach unten sank und an ihrer Seite hing.
Sie stand vor ihm, und tiefes
Mitleid erfüllte sie. Er sah aus, als habe ihm jemand das Herz aus der Brust
gerissen. Sie wollte ihn trösten und Trost bei ihm finden, doch sie wußte
nicht, wie sie das eine oder das andere anfangen sollte.
»Wenn es
noch etwas gibt, was ich tun kann ...«, sagte sie.
Sie sah,
wie er versuchte zu lächelte, und es mißlang. »Nein, danke. Sie haben schon so
viel getan.« Sein Blick richtete sich wieder auf den Sarg, als werde er davon
wie magisch angezogen. Er blickte darauf, als warte er, daß die Frau darin
aufstehen und zu ihm kommen würde. »Ich möchte allein sein ... bitte«, murmelte
er.
Er sagte es
sanft, beinahe liebevoll, aber es schmerzte.
Sie drehte
sich um und ging. Doch als sie durch die Tür getreten war, blieb sie stehen und
blickte zurück. Später wünschte sie, sie hätte es nicht getan. Er war zum Sarg
getreten, blickte auf das Gesicht seiner toten Frau hinunter, und sie hörte in
der stillen Küche seine gebrochene, verzweifelte Frage: »Und wie soll ich ohne
dich weiterleben, Bria, mein Liebling? Wirst du mir das verraten, mo Bhean?«
In den Tagen nach dem Tod seiner Frau fuhr Shay mit seinem
Fischerboot im Morgengrauen hinaus und blieb auf dem Wasser, bis es dunkel
wurde.
Die Tage im
August waren lang, und er konnte die Stunden damit füllen, daß er Netze auswarf
und einholte und gefangene Fische aus den Reusen und von den Angelleinen nahm.
An stürmischen Tagen segelte er hoch am Wind und ließ sich von der Gischt das
Gesicht und den Körper peitschen. An windstillen Tagen ruderte er. Das waren
die besten Tage, denn er konnte sich dabei so sehr ermüden, daß er unfähig war
zu denken, und die einzigen Schmerzen, die er spürte, waren die in seinen
Muskeln, in seinen Gelenken und Knochen. Doch manchmal ...
Manchmal
verlieh die untergehende Sonne den Wolken die Farbe von Brias Haar, und das
Wasser, das über den Bug plätscherte, klang wie ihr Lachen. Oder der leichte
Abendwind zauberte ein kurzes leises Seufzen, wie sie es manchmal getan hatte,
wenn er in sie eingedrungen war. Dann erlebte er wieder die herzzerreißende
Qual des Verlustes und des Nie-wieder.
Manchmal hatte Shay das Gefühl,
er habe sich mit dem Gewehr ein Loch ins Herz geschossen.
Sie war
seit zwei Wochen tot, als er eines Abends etwas
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