Penelope Williamson
früher als sonst nach Hause
kam. Trotzdem war die Sonne bereits untergegangen. Am aschgrauen Himmel
hingen verstreute kohlschwarze Wölkchen. Er nahm sich viel Zeit, das Boot
festzumachen und den Augenblick hinauszuzögern, wenn er ins Haus gehen mußte
und sie nicht dasein würde.
Als er
schließlich die Treppe zur Haustür hinaufstieg und die Tür öffnete, brannte
drinnen die Lampe, um die Dunkelheit zu vertreiben. In der Küche roch es gut
nach dem Abendessen, das auf dem Herd kochte. Er wollte ins Schlafzimmer gehen,
blieb jedoch wie erstarrt auf der Schwelle stehen.
Miss Emma Tremayne beugte sich
über das Bett und wechselte die Windeln seines Sohnes. Er sah, wie sie das
Gesicht an Jackos Bauch drückte und die Nase daran rieb. Der Kleine bewegte die
Arme mit den geballten Fäustchen hin und her und lachte – tief, gurgelnd und
glücklich, so wie Babys lachen.
In Shays
Augen brannten Tränen.
Sie mußte
seine Anwesenheit gespürt haben, denn sie richtete sich auf und drehte sich um.
Emma stieß vor Überraschung einen leisen Schrei aus, und das Blut stieg ihr in
die Wangen. »Mr. McKenna! Ich dachte, Sie ... Ich hoffe, Sie haben nichts
dagegen. Seine Windeln mußten gewechselt werden.«
Er nickte
und bewegte die Hand, als gestatte er ihr, fortzufahren. Doch er konnte nichts
sagen. Er ging rückwärts wieder hinaus und kam sich ungelenk, plump und zu groß
für seine Haut vor.
Er setzte
sich an den Küchentisch, und Gorgeous, der alte Kater, hüpfte ihm auf den
Schoß. Er streichelte seine eingerissenen Ohren. Im Haus herrschte eine
friedliche gemütliche Stille. Er hörte das Brodeln der Kartoffeln, die auf dem
Herd kochten. Und aus dem Schlafzimmer drang das Rascheln von Seide und das leise
Geräusch von Hausschuhen auf dem Boden.
Er fragte sich gerade, wo seine
Töchter sein mochten, als ihre Stimme aus dem Zimmer drang. »Ich habe die
Mädchen mit dem Rest des Mohnkuchens, den wir zum Tee hatten, zu Mrs. Hale
hinübergeschickt ... Mrs. Hale war sehr gütig.«
Er wußte, Emma Tremayne war in
den Wochen seit Brias Tod oft hier gewesen. Die Mädchen erzählten ihm, daß sie
mit einem Korb voll Essen am Fabriktor auf sie wartete. Dann holten sie Jacko
bei Mrs. Hale ab, und Emma machte für sie alle Tee. Tee im Stil der besseren
Gesellschaft – Bria hätte gelächelt, wenn sie es erlebt hätte.
Er blickte
sich um. Die Blumen auf dem Tisch stammten mit Sicherheit nicht von ihm. Er
hatte das Frühstücksgeschirr im Spülbecken stehen lassen, aber es war abgewaschen
und weggeräumt worden. Doch selbst ohne diese Dinge hätte er sagen können, an
welchen Tagen sie da gewesen war, denn er roch die Spuren ihrer Anwesenheit,
die sie zurückließ – ein Hauch von Flieder, der ihn immer an warme
Frühlingsnachmittage denken ließ, wenn die ganze Welt voller Erwartungen und
Verheißungen zu sein schien.
Er sah ein
Buch auf dem Tisch und griff danach. Es trug den Titel Das Leben der
Präsidenten und hatte einen Satineinband und Goldschnitt. Er schlug es auf
und las auf dem Vorsatzblatt: »Für Emma Tremayne – für ihre hervorragende
Rechtschreibung.«
Hervorragende
Rechtschreibung ...
Der Gedanke
entlockte ihm ein Lächeln. Er versuchte, sie sich als Kind vorzustellen.
Vermutlich hatte sie lange weiße Schürzen getragen, die so gestärkt waren, daß
sie beim Gehen knisterten. Sie war bestimmt nie mit Löchern in den Strümpfen,
aufgeschürften Knien und Stroh in den Haaren herumgelaufen.
Emma kam
mit dem kleinen Jacko auf dem Arm aus dem Schlafzimmer. Ihr Kleid knisterte
vielleicht nicht, aber dafür raschelte es. Es war dieses seidige, flüsternde
Rascheln, das selbst dann von ihr auszugehen schien, wenn sie still stand. Er
sah zu, wie sie seinen Sohn in die Wiege legte, wie sie die Haare über der
weichen Stelle auf seinem Kopf mit dem Finger glattstrich, und er dachte daran,
daß Bria das immer getan hatte. Das Verlangen nach etwas, was nie wieder sein
würde, schnürte ihm die Kehle zu.
Er drehte
den Kopf zur Seite und blickte aus dem Fenster, das den Himmel einrahmte, der
inzwischen das tiefe dunkle Blau später Sommerabende angenommen hatte. Als er
den Blick vom Fenster wandte, sah er, daß sie an den Tisch getreten war. Sie
hatte eine Hand auf die Stuhllehne gelegt und blickte auf das Buch in seiner
Hand. Zwischen ihren Augenbrauen sah er eine kleine Falte der Beunruhigung.
»Noreen
hat mir gesagt, daß Sie ihr das Lesen beigebracht haben.« Emma errötete leicht,
aber fuhr scheinbar unbeschwert
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