Penelope Williamson
bewegten. »Habe
ich dir nicht gesagt, Geoffrey, daß die Sonne heute scheinen wird?«
»Du hast
gesagt, es würde regnen.«
Mrs.
Alcott schlug Emma noch einmal mit dem Fächer leicht auf den Arm, beugte sich
zu ihr und flüsterte laut: »Er sieht immer nur Regen, auch wenn keine einzige
Wolke am Himmel steht. Welch ein bedauerlicher Hang zum Pessimismus. Ich habe
keine Ahnung, woher er das hat.« Sie brach ab, blickte mit zusammengekniffenen
Augen auf den mit Marmor gepflasterten Weg und reckte das Kinn. »Wie kann er es
wagen! Wie kann er es wagen, das arme Kind zu benutzen, um die Aufmerksamkeit
auf sich zu lenken?«
Emma und
Geoffrey drehten die Köpfe, um zu sehen, wer was wagte. Geoffrey blieb vor
Schreck und Überraschung der Mund offenstehen.
»Maddie!«
rief Emma. Sie sprang auf und rannte zu dem von Linden beschatteten Weg. Sie
lief so schnell, daß sie die Röcke über die Fußknöchel heben mußte. Es war ihr
gleichgültig, daß die ganze versammelte Gesellschaft ihr schlechtes Benehmen
sah. Sie rannte zu ihrer Schwester, die Stuart Alcott in ihrem Rollstuhl vor
sich herschob.
Maddie trug ein leichtes
weißes, mit winzigen Vergißmeinnicht bedrucktes Baumwollkleid. Sie wirkte sehr
hübsch und glücklich. Ihre Augen glänzten, ihre Wangen waren gerötet, und sie
lächelte.
»Ich bin gekommen, Emma!« Ihre
Stimme klang so sanft und schien so weich zu sein wie die Blütenblätter einer
Rose.
Emma kam etwas außer Atem vor
ihr zum Stehen. Sie lachte und weinte gleichzeitig. »Das sehe ich! 0 Maddie,
das sehe ich.«
Stuart
stützte sich mit ausgestreckten Armen auf die Griffe des Rollstuhls. Er war
nicht nur erhitzt, er schwitzte. Seine Schleife hing schief, und die Stärke in
seinem Hemd war aufgeweicht. Er roch nach Brandy.
»Meine
teure Maddie«, sagte er langsam. »Du bist gekommen, und jetzt bist du da.
Würdest du mich bitte entschuldigen? Ich glaube, ich höre, wie ein
Champagner-Cocktail nach mir ruft.«
Maddie sah
ihm nach, als er davonschlenderte. Schatten verdunkelten bereits ihre Freude.
Sie ballte die Hände in ihrem Schoß so krampfhaft zu Fäusten, daß die Knöchel
die Farbe von altem Wachs annahmen.
Emma nahm
eine der Fäuste in ihre Hand. »Maddie ...«
»Glaubst du, Mama wird
schrecklich wütend auf mich sein?« fragte Maddie kleinlaut.
»Falls es
so ist, wird sie es sich in Gesellschaft niemals anmerken lassen. Aber ich
verspreche dir, ich werde dir später helfen, das Donnerwetter zu überstehen.«
Emma ließ
die Hand ihrer Schwester los und schob den Rollstuhl in Richtung des Zehs mit
den Erfrischungen, wo sich der größte Teil der Gesellschaft versammelt hatte.
Sie suchte ihre Mutter, konnte sie jedoch nirgends entdecken. Ihr fiel ein, daß
sie gesehen hatte, wie sie mit Onkel Stanton und Mrs. Norton zur Südseite des
Hauses ge-
gangen war, wo sich der Stolz
des Alcottschen Gartens befand – Beete mit siebenunddreißig Rosensorten. Emma
hoffte, daß ihre Mutter noch immer dort war und auch noch eine Weile dort
blieb. Denn für Maddie würde das erste Eintauchen in die gesellschaftlichen
Gewässer schwierig genug sein, auch ohne daß sie versuchte, es unter den
strengen mißbilligenden Blicken von Mama zu tun.
»Oje!«
rief Maddie leise, während die Räder des Rollstuhls über eine gesprungene
Marmorplatte holperten. »Jetzt verstehe ich allmählich, weshalb du diese
gesellschaftlichen Ereignisse so fürchtest. Es ist, als seien meine Gedanken
wie die Samen einer Pusteblume plötzlich in alle Winde zerstreut. Und ich habe
das Gefühl, im nächsten Augenblick das Falsche zu tun oder zu sagen.«
»Überlaß das ruhig mir«,
erwiderte Emma eine Spur zu munter. »Ich habe in letzter Zeit großes Geschick
darin entwickelt, das Falsche zu sagen und zu tun.«
Während sie sich dem Zelt
näherten, verstummte die heitere Unterhaltung und das sorglose Lachen, als hätte
es allen gleichzeitig die Sprache verschlagen.
»Sie starren mich an, Emma«,
murmelte Maddie. Ihre Stimme klang wie ein zu weit aufgezogenes Uhrwerk.
»Bestimmt
nicht.«
»Nein, es ist noch schlimmer.
Sie starren mich an, dann wenden sie den Blick ab und tun so, als sei ich Luft.«
»Das liegt
nur daran, daß sie es nicht mehr gewohnt sind, dich außer Haus zu sehen«, sagte
Emma. »Eine gewisse Verlegenheit ist am Anfang unvermeidlich. Aber glaube mir,
mit der Zeit wird sich das schon legen.«
»Wenn Mama
nicht auf ihre Art eingreift.«
Emma blieb
stehen, beugte sich über die Schulter ihrer Schwester
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