Penelope Williamson
Fischerboote schaukelten und hüpften auf den Wellen. Die
weißen und roten Segel leuchteten ungewöhnlich hell.
Sie rannte
zum Landungssteg. Zweimal stürzte sie beinahe auf den verwitterten Bohlen. Sie
lief bis zum Ende des Stegs, damit sie um die Biegung des Hafens herum einen
Blick auf die Stadt hatte und die Baumwollspinnerei in der Thames Street sehen
konnte. Der Wind traf ihr Gesicht, ließ ihre Röcke flattern und pfiff ihr um
die Ohren. Sie legte die Hand über die Augen, um sie vor dem grellen Sonnenlicht
zu schützen, das vom Wasser zurückgeworfen wurde. Sie sah die Spinnerei mit
ihren Mauern aus grauem Granit und dem grauen Schieferdach. Aus dem hohen
Schornstein stieg wie immer eine weiße Dampfwolke auf. Aber aus den hohen
schmutzigen Fenstern drangen weder Rauch noch Flammen.
»Es ist
nichts«, sagte sie laut. »Es ist alles in Ordnung.«
Aber sie
hatte dennoch nicht das Gefühl, daß alles in Ordnung war. Vom Haus zur
Spinnerei waren es vier Häuserblocks, und sie rannte den ganzen Weg. Sie kam an
einem Zwiebelgräber vorbei, der vom Feld nach Hause ging. Der Mann rief hinter
ihr her: »He, Miss, wo brennt es denn?« Emma wollte schreien, die Angst
herausschreien, die sie erfaßt hatte, doch sie war völlig außer Atem.
Sie lief
durch den großen Torbogen in den leeren Hof. Sie sah weder Flammen
noch Rauch. Trotzdem stürmte sie, ohne anzuhalten, die Eisentreppe hinauf, die
zu der blechbeschlagenen Tür mit den Eisenbändern führte.
Sie rannte
so schnell, daß sie nicht stehenbleiben konnte und mit den Handflächen gegen
die Tür prallte. Sie langte nach dem Türgriff, drückte ihn nach unten ... und
nichts geschah. Sie hob ihn, drückte wieder nach unten ... nichts!
Die Tür war
verschlossen.
Unter
ihren Füßen dröhnte und vibrierte die Eisentreppe von der Wucht der laufenden
Maschinen im Innern. Emma hörte selbst über den Wind hinweg den Lärm, den sie
machten – ein Klirren und Rasseln, doch vor allem ein Summen und Surren wie von
zahllosen gereizten Bienen.
Der Wind
ließ einen Augenblick nach, und sie glaubte, einen verbrannten Geruch wahrzunehmen,
als habe jemand ein Bügeleisen zu lange auf gestärkter Baumwolle stehenlassen.
Sie blickte nach oben, doch sie sah nur den Dachfirst aus grauem Schiefer. Dann
entdeckte sie, daß unter dem Dachsims Rauch hervorquoll ...
Schwarzer
Rauch.
Shay
McKenna konnte nach einem Tag in der Bucht nicht nach Hause segeln, ohne an den
Kais der Spinnerei in der Thames Street vorbeizufahren, wo seine Töchter
arbeiteten. Und so blickte er Tag um Tag auf die grauen Steinmauern und schwor
sich: »Ich hole euch da raus! Ich werde euch bald da rausholen, das verspreche
ich«
Wenn man
als Katholik und Ire in einem Clachan mit dem Namen Gortadoo geboren
wurde, war man daran gewöhnt, arm zu sein und wie ein Huhn auf einem Stück Land
zu scharren, das einem niemals gehören konnte. Man war an das Leben in einer
Steinhütte gewöhnt und an einen Strohsack als Bett. Wenn man Glück hatte, gab
es ein oder zwei Hocker, auf denen man sitzen konnte. Und es gehörte auch zum
Alltag, die Kinder mit einer Hacke in den kleinen Händen auf die Kartoffelfelder
zu schicken, sobald sie laufen konnten.
Damals in Gortadoo war Shay an
all das gewöhnt gewesen, aber jetzt nicht mehr.
Wenn Bria abends nach zwölf
Stunden Schicht auf ihrem Bett lag, während er ihr die schmerzenden,
verkrampften Beine massierte, hatte sie ihm berichtet, was dort geschah ...
Merry muß
auf einer Kiste stehen, wenn sie die Maschine bedient. Sie ist noch zu klein, um die Spulen anders im Auge behalten zu
können.
Überall
laufen einem die Schaben zwischen den Füßen herum. Die Spulen-Jungen schütten
Schmieröl über das Ungeziefer und zünden die Biester an.
Der Aufseher läuft über den
Steg, bläst seine Trillerpfeife, und alle drücken die Hebel herunter und fangen
an zu spinnen. Dann schließt er uns bis zum Ende der Schicht ein.
Die kleinsten Finger kommen am
besten zurecht. Und man muß schnell und geschickt sein, um die Fäden
aufzufangen, wenn sie sich verwirren oder reißen.
Die Baumwollflusen fliegen uns
in die Augen, in die Nase und in den Mund. Die Luft ist immer feucht und staubig
von diesen Flusen. Noreen hustet ständig. 0 Shay, ich habe solche Angst, daß
sie sich bei mir die Schwindsucht geholt hat.
Die Ohren schmerzen von dem
Lärm, und die Augen brennen, weil man so angestrengt auf die Spulen starrt, die
vom Garn immer dicker und dicker werden ... Gott steh mir bei,
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