Penelope Williamson
Bristol zählten nur Äußerlichkeiten und gesellschaftliche Rituale.
Über das wirkliche Leben wurde nie gesprochen, es fand praktisch nicht statt.
Man dachte nicht einmal darüber nach.
Bethel
mußte schwer an sich arbeiten, um sich dieser fremden Welt anzupassen. Sie tat
es mit einer eisernen Entschlossenheit, die sie innerlich völlig aufrieb, so
daß sie oft in der stillen Dunkelheit der Nacht vor Angst zitternd im Bett lag,
weil sie fürchtete, man werde sie durchschauen ...
Tag für
Tag, Jahr für Jahr schien sich Bethel der jeweils äußeren Schicht ihres Wesens
zu entledigen, als versuche sie, den roten Staub von Georgia auch von ihrer
Seele zu waschen. Sie arbeitete so lange daran, bis von Bethel Lane schließlich
nur noch ein Anflug ihres Südstaatendialekts und die Vorliebe für Kaffee mit
Zichorie übrigblieb.
Bethel
gelang es, eine Dame der guten Gesellschaft zu werden, indem sie genau
beobachtete, wie die anderen ihr sorgsam geordnetes Leben handhabten. Sie
lernte, daß jede Abweichung von dem Erwarteten, von dem, was man tat,
sofort und mit Nachdruck bestraft wurde. Sie erlebte, was mit der Tochter des
Bankiers geschah, nachdem sie beobachtet worden war, wie sie am Vierten Juli
den Sohn eines Fischhändlers unter dem Pier im Hafen küßte. Bethel entging auch
nicht, was mit der jungen Frau geschah, die im Yachtclub in einem Badekostüm
erschien, das zuviel nacktes Bein enthüllte. Sie sah, wie die Frau geächtet
wurde, die ihre Beherrschung verlor und sich dazu hinreißen ließ, an einem
regnerischen Winternachmittag mitten auf der High Street mit der Geliebten
ihres Mannes zu streiten. Bethel wußte bald, was geschah, wenn man die
Konventionen verletzte und einen Skandal provozierte, was geschah, wenn ein Geheimnis
ans Licht kam. Diese ersten Lektionen über die ungeschriebenen Gesetze der
guten Gesellschaft brannten sich tief in ihr Herz. Die goldene Welt ihres
blaublütigen William kannte keine Gnade, wenn jemand es wagte, gegen die Regeln
zu verstoßen. Wer in diese Welt aufgenommen wurde, wer sich ihr anvertraute,
hatte keine andere Wahl, als sich stumm zu fügen.
Oder man
war auf ewig verstoßen.
Manchmal
erwachte Bethel jedoch mitten in der Nacht mit tränennassen Wangen und einer
großen Leere im Herzen. In den dunklen schlaflosen Stunden erinnerte sie sich
an helle, glühendheiße Tage in Sparta, als sie barfuß durch kühle Bäche
gelaufen war, an den fettigen Geruch der nassen Baumwollstränge, die in der
heißen Luft trockneten, und an die liebevollen Hände, die ihr Gardenien ins
Haar steckten.
»Ich werde dich nachkommen
lassen, Mama«, hatte sie auf ein Blatt Papier geschrieben, das sie für Mazie
zurückließ, als sie mit ihrem Yankee-Gentleman heimlich davongefahren war.
Ich werde
dich nachkommen lassen, Mama!
Das hatte sie ihrer Mutter
versprochen. Aber sie hatte dieses Versprechen nie eingelöst.
Viertes Kapitel
Bethel fand
es seltsam, daß sie an diesem Tag so erfüllt war von Erinnerungen an ihre
Mutter. Vielleicht war es aber auch nicht verwunderlich, denn sie war vollauf
beschäftigt mit den Plänen für die Hochzeit ihrer eigenen Tochter. Schließlich
war die Hochzeit das größte Ereignis im Leben einer Frau.
Emma hatte trotz all ihrer
Eigenarten und der typisch Tremayneschen Unberechenbarkeit wenigstens soviel
Verstand bewiesen, eine sehr gute Partie zu machen.
Geoffrey
Alcott ...
Bethel
stieß einen leisen Seufzer der Zufriedenheit aus.
Geoffrey
Alcott, einer der New Yorker Alcotts ...
Die
Familie lebte bereits über hundert Jahre in Bristol, aber man nannte sie noch
immer die New Yorker Alcotts, weil der erste Alcott in New York geboren worden
war. Die Leute von Bristol hatten immer schon ein gutes Gedächtnis gehabt. Sie
verziehen nichts, und Neulinge wurden mit Mißtrauen bedacht.
Wie auch
immer, Geoffrey Alcott sah gut aus, besaß tadellose Manieren, und seiner
Familie gab er keinen Anlaß zur Klage. Er war seiner Herkunft und dem Verhalten
nach ein echter Gentleman. Und natürlich war er reich.
Vielleicht ließ die Art, wie er
um Emmas Hand angehalten hatte, zu wünschen übrig. Es war schon sehr kühn, ihr
diese entscheidende Frage während der letzten Fuchsjagd der Saison zu stellen.
Bethel
hielt wenig davon, wenn Konventionen nicht eingehalten wurden. Das machte sie
unsicher und nervös, denn wer konnte sagen, wozu solche Freizügigkeiten sonst
noch führen konnten?
Jedenfalls
lag es jetzt an ihr, der Brautmutter, daß die Hochzeit den kleinen faux
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