Penelope Williamson
wollte sich gerade davon
überzeugen, daß die Rosen wirklich frisch waren, als sie ein Dienstmädchen sah,
das sich über die Klavierleuchte aus Onyx und Lapislazuli beugte, um den Docht
zu kürzen.
Bethel wurde nicht laut, aber
ihre Stimme schien die Stille wie ein Dolch zu durchstoßen: »Du!«
Das Dienstmädchen schreckte
zusammen, drehte sich verwirrt um und starrte sie mit großen Augen an.
»Was tust
du zu dieser Tageszeit hier im Salon?« fragte Bethel streng.
In
ordentlich geführten Häusern zeigten sich die Dienstboten dann nicht in den
herrschaftlichen Räumen, wenn die Familie oder die Gäste dadurch gezwungen sein
konnten, sich ihrer Anwesenheit zu erinnern.
Das Dienstmädchen
knickste und neigte den Kopf. »Die Lampe qualmte, und ich ...« Sie starrte
schuldbewußt zu Boden und strich hilflos mit der freien Hand über die gestärkte
Schürze. »Entschuldigen Sie bitte, Madam.«
»Dafür gibt
es keine Entschuldigung.«
»Nein, Madam.«
Das Dienstmädchen ging in einem
weiten Bogen um Bethel herum zur Tür, blieb dort aber stehen und sah sie
unsicher an. »Wir Dienstboten sind sehr glücklich darüber, daß sich Miss Emma
mit Mr. Alcott verloben wird.«
Bethel
hätte im ersten Augenblick beinahe gelächelt, obwohl sich das nicht gehörte –
man zeigte in Gegenwart des Personals keine Gefühle.
»Danke,
Biddy«, erwiderte sie.
Die vielen
irischen Mädchen, die die Böden schrubbten, überall im Haus Staub wischten und
die Herrschaft bedienten, wurden alle »Biddy« genannt. Als Bethel vor vielen
Jahren als neue Hausherrin in The Birches eingetroffen war, hatte sie
sich besondere Mühe gegeben, die Namen der Dienstboten zu lernen. Aber schließlich
wurde sie darauf aufmerksam gemacht, daß solche Vertraulichkeiten unpassend
seien.
»Er sieht sehr gut aus«, sagte
das Dienstmädchen. »Wirklich gut ... und Mr. Alcott ist so ein Gentleman.«
»Ja, er gilt als einer der
begehrtesten Junggesellen in Neuengland. Kein Wunder, er hat nicht nur ein
Vermögen von über drei Millionen Dollar geerbt, sondern ...«
Bethel biß sich auf die Lippen.
Sie war so entsetzt, daß sie beinahe zitterte. Nichts war vulgärer, als mit
einem Bediensteten über Geld zu sprechen! Sie hätte ebensogut den Rock heben
und Biddy ihre Unterhosen zeigen können.
Bethel
legte die Hand an den Hals und spürte, wie sie errötete. So etwas geschah immer
nur dann, wenn ihre Wachsamkeit einen Augenblick lang nachließ, wenn sie nicht
an ihre Stellung dachte und sich Erinnerungen überließ, wenn sie Dinge laut
aussprach, über die man besser schwieg.
»Das reicht
jetzt«, sagte sie.
»Ja, Madam«, murmelte das
Dienstmädchen mit gesenktem Blick und eilte aus dem Salon.
Vor den von
schweren Vorhängen aus Samt und Brokat eingerahmten Fenstern bewegte sich
etwas. Bethel entdeckte ihre jüngere Tochter Madeleine. Sie saß in ihrem
Rollstuhl auf der Veranda, wo Farn in großen Kübeln und zwei alte geflochtene
Schaukelstühle standen. Emma stand hinter ihr und hatte die Hände auf die
Griffe des Rollstuhls gelegt.
Beim Anblick der beiden
runzelte Bethel die Stirn. Jetzt würde sie einen Dienstboten rufen müssen, der
Maddie und den Rollstuhl ins Haus zurückbrachte. Das würde erneut Unruhe
schaffen, die sie an diesem Nachmittag nicht brauchen konnten.
Und Emma
... gut, sie hatte das beige Samtkleid angezogen, aber das war bestimmt in
größter Eile geschehen, wenn sie so schnell wieder auf der Veranda stehen
konnte. Und jetzt riskierte sie noch, daß sich ihr in der feuchten Hitze die
Wangen röteten und die Haare kräuselten.
Als Bethel
so hinausblickte, wandte sich ihre Tochter halb dem Fenster zu. Sie lachte, und
ihr Gesicht schimmerte hell im grauen Licht des dunstigen Nachmittags. Der Wind
fuhr spielerisch durch die dunkelbraunen Locken. Die sanft geschwungene Wange
erinnerte Bethel unwillkürlich an einen Engel.
Bethel fühlte einen
schmerzlichen Stich in der Brust. Es ist einfach nicht richtig, dachte sie, daß
es einer Mutter angesichts der Schönheit der eigenen Tochter den Atem
verschlägt.
In diesem
Augenblick hellte der Himmel draußen auf, und das Licht verwandelte die
Fensterscheiben in Spiegel, in denen Bethel plötzlich ihr eigenes Antlitz sah.
Sie hob die Hand und berührte das Glas, als sei es das stille Wasser eines
Teichs, das sie nur in Bewegung bringen mußte, um ihr Spiegelbild zum
Verschwinden zu bringen. Wie war sie plötzlich so alt geworden?
Bin ich
noch immer hübsch, Mama?
Die
hellblonden
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