Penelope Williamson
sich an sein Hosenbein. »Papa!«
Shay drehte
sich herum und nahm Noreen in die Arme. Auch Merry war da. Eine der
Spinnmaschinen wurde von den Flammen erfaßt und versprühte einen Schauer roter
Feuerräder und heißer blauer Funken. Das war das Ende, ein Flammeninferno
vernichtete alles. Schaudernd hob er Merry ebenfalls hoch und rannte mit den
beiden in Richtung Tür.
Hustend
und keuchend erreichte er mit den Mädchen in den Armen die Treppe, sprang in
wenigen Sätzen die Stufen hinunter und trug sie ans andere Ende des Hofs, wo
weniger Rauch und fliegende Funken waren. Er setzte sie ab und vergewisserte
sich schnell, daß ihnen nichts geschehen war. Die beiden hatten Angst und
husteten und würgten vom vielen Rauch, doch soweit er feststellen konnte, waren
sie unverletzt. Er konnte nicht aufhören, sie zu berühren. Er mußte sie immer
wieder anfassen und sich vergewissern, daß sie es wirklich waren. Seine
Mädchen! Er hätte beinahe seine Mädchen verloren. Wenn er sie verloren hätte
...
Eine Frau kam aus der Menge der
vielen undeutlichen Gesichter auf sie zu. Sie rannte und rief ihre Namen. Sie trug
nur einen zerrissenen Unterrock. Sie war naß bis auf die Haut, und Tränen
hinterließen weiße Spuren in ihrem rußverschmierten Gesicht.
Es war die
Frau, die der Feuerwehrmann aus dem Gebäude getragen hatte.
Emma.
»Sie ist wegen uns gekommen, Papa, genau wie Merry es gesagt
hat.«
»Ich weiß,
mein Liebling.« Shay setzte sich auf den Bettrand und strich Noreen die
feuchten Haare aus der Stirn. Er beugte sich hinunter und küßte die von der
Hitze gerötete, aber Gott sei Dank nicht verbrannte Haut.
»Ihr beiden solltet jetzt
schlafen«, sagte er, als er seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte. »Ihr
wißt, eure Mama hat immer gesagt, es gibt nichts, was ein guter Schlaf nicht
heilt.«
Noreen
lächelte zitternd, aber Merry sah ihn nur mit großen, gequälten Augen an. Sie hatte nicht ein einziges Mal
gesummt, seit er sie aus der Spinnerei getragen hatte. Und es war sehr
schwierig gewesen, sie soweit zu bringen, daß sie Emmas Hand losließ.
»Sie ist gekommen, um uns zu
holen, Papa«, wiederholte Noreen. »Genau, wie sie es versprochen hatte.«
»Ich weiß.« Es fiel ihm schwer,
die Tränen zurückzuhalten. Er beugte sich vor, legte seine Arme um die beiden
Mädchen und drückte sie fest, ganz fest an sich. Obwohl sie lange gebadet
hatten, rochen sie immer noch nach Rauch. Shay schauderte es bei der Erinnerung
an die Ereignisse des Nachmittags.
»Ich liebe
euch, meine Mädchen«, flüsterte er, als sie schon eingeschlafen waren. Solche
Worte auszusprechen, fiel einem Mann mitunter schwer, selbst wenn sie den
eigenen Töchtern galten.
Er stand
vorsichtig vom Bett auf, um sie nicht zu wecken, und trat an die Wiege seines
Sohnes, die er aus alten Kaffeekisten der Firma Arbuckle gezimmert hatte. Er
fuhr mit seinen Lippen über die Pausbäckchen und küßte die weiche Stelle auf
dem Kopf. Dann verließ er leise das Schlafzimmer, blieb an der Tür aber noch
einmal stehen und blickte zurück auf seinen Sohn in der behelfsmäßigen Wiege
und auf die beiden schlafenden Mädchen in dem weißen Eisenbett. Er betrachtete
sie eine Ewigkeit lang und er zitterte innerlich, überwältigt von der Macht
seiner Gefühle für sie.
Als er in
die Küche trat, stellte er überrascht fest, daß die Schatten der
hereinbrechenden Nacht alles in ein dunkelblaues Licht getaucht hatten.
Emma saß
im Schaukelstuhl am Fenster.
Im Hof der
Spinnerei, und obwohl sie ebenfalls wie eine der geretteten
Fabrikarbeiterinnen ausgesehen hatte, war man auf sie aufmerksam geworden. Man
hatte sie als >Miss Tremayne< erkannt und erzählte, sie sei die Frau
gewesen, die in das brennende Gebäude gestürmt war, um den Schlüssel für die
Tür des Spinnsaals zu holen. Sie hatte damit das Leben der im Saal
eingeschlossenen Frauen und Kinder gerettet. Doch die Aufmerksamkeit ängstigte
sie. Emma beteuerte immer wieder, sie habe nichts getan. Ein Feuerwehrmann auf
der Suche nach dem Schlüssel sei ihr praktisch auf den Fersen gefolgt, und sie
habe nicht viel mehr erreicht, als daß sie selbst gerettet werden mußte.
Noch hatte
niemand daran gedacht, sie zu fragen, weshalb sie überhaupt zu diesem Zeitpunkt
in der Spinnerei gewesen war. Doch die Worte, die sie geschluchzt und
geflüstert hatte, als sie auf dem Ziegelsteinpflaster des Hofs kniete und seine
Töchter an sich drückte, hatten Shay verraten, daß sie lange vor dem Heulen
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