Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Penelope Williamson

Penelope Williamson

Titel: Penelope Williamson Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wagnis des Herzens
Vom Netzwerk:
den Birken zurück. Sie mußte
sich nicht umdrehen, um zu wissen, daß seine Augen auf ihr ruhten, als werde er
sie niemals wiedersehen.
    Geoffrey stand
im Schatten der Samtportieren an der Tür und beobachtete sie.
    Emma stand am Fenster und
blickte auf die Birken, doch er zweifelte daran, daß sie die Bäume sah. Ihr
Blick war nach innen gerichtet, auf einen Punkt tief in ihrem Innern. Unter
ihren Wangenknochen lagen Schatten wie verblassende blaue Flecken.
    Sie mußte
schließlich doch einen Spaziergang gemacht haben, denn sie trug ihren
Seehundmantel, obwohl er halb aufgeknöpft war. Er sah ein Spitzenband, das mit
unzähligen, winzigen Perlen besetzt war, am hohen Kragen ihres Kleides. Er lag
eng um ihren unglaublich langen schlanken Hals.
    Geoffrey
wußte, er würde Geduld haben müssen, denn sie war erst wieder einen Tag zu
Hause. Doch er hatte das Gefühl, ihr aus unendlicher Ferne etwas zuzurufen,
und wenn er die Hand ausstrecken und versuchen wollte, sie zu berühren, werde
sie sich möglicherweise in nichts auflösen.
    Er fürchtete,
sie nicht mehr zu kennen, sie vielleicht nie gekannt zu haben. Niemand wollte
ihm verraten, wozu ihr >erregbares Wesen< sie getrieben hatte, so daß ihr
Onkel und ihre Mutter beschlossen hatten, sie brauche die Ruhe einer Anstalt,
um wieder gesund zu werden. Er hatte versucht, es herauszufinden, sich dabei
allerdings keine allzu große Mühe gegeben, denn im Grunde wollte er es nicht
wissen.
    Geoffrey wollte nichts
erfahren, was er ihr vielleicht nicht hätte verzeihen können.
    Jetzt trat
er neben sie ans Fenster, nahe genug, um sie zu berühren, ohne es jedoch zu
tun. Sie duftete nach ihrem Fliederparfüm und nach dem kaltem Pelz.
    »Du hast einen Spaziergang gemacht«, sagte er.
    »Ja«, erwiderte sie.« Sie
sprach leise, wie jemand, der gerade aus einem besonders tiefem Schlaf erwacht
war.
    »Du
frierst.« Er wischte ein paar Nebeltropfen von der seidigen Welle ihres Haars
und zögerte. Er wollte sie fragen, woran sie dachte. Statt dessen wandte er
sich ab, griff nach dem ledernen Blasebalg und begann, das Feuer im Kamin
anzufachen.
    In den folgenden Tagen dieses Dezembers verbrachte Geoffrey
soviel Zeit mit Emma, wie er konnte, auch wenn er nie die Worte fand, um die
Frage zu formulieren, die er, wie er glaubte, ihr hätte stellen sollen. Er
wollte glauben, daß sie ihn brauchte, und deshalb war er da. Doch sie war nicht
immer leicht zu finden. Emma verbrachte viel Zeit mit Spaziergängen, obwohl
Weihnachten vor der Tür stand und der Winter kalt und feucht war.
    Diesmal
fand er sie in der alten Orangerie. Er war nie an diesem Ort gewesen, wo sie
ihrer Bildhauerei nachging. Sie hatte auch nie angeboten, ihm ihre Arbeiten zu
zeigen. Aber vielleicht, so dachte er, befürchtete sie, er könnte ihre
Plastiken für laienhaft halten.
    Die Tür
stand einen Spalt weit offen, und er blieb auf der Schwelle stehen, bevor er
eintrat. Blaßgelbes Sonnenlicht flutete durch das Glasdach ins Innere und
sprenkelte die Platten des Fußbodens mit wäßrigen Mustern. Sie stand vor einem
eigenartigen Gebilde aus Bronze. Obwohl er ihr Gesicht nicht sehen konnte, ging
eine seltsame Entrücktheit von ihr aus, als sei sie schon eine Ewigkeit dort.
    Er trat
ein, und sein Stock stieß laut auf den Steinboden. Emma drehte sich um, und
Geoffrey erschrak, als er sah, daß ihr die Tränen über die Wangen rannen.
    »Emma, mein Liebling«, sagte er
und eilte zu ihr. »Was ist? Geht es dir gut?«
    Sie wandte ihm schnell den
Rücken zu und starrte von neuem auf das Bronzegebilde.
    »Ich hatte
Angst, hierher zu kommen, Angst davor, was ich empfinden, wie sehr es
schmerzen würde. Doch dann dachte ich, Mama könnte während meiner Abwesenheit
vielleicht Bria zerstört haben. Von diesem Augenblick an hatte ich noch größere
Angst, nicht hierher zu gehen. Ich mußte sehen und wissen, daß ihr nichts zugestoßen
ist.« Sie machte eine Pause und fügte dann etwas ruhiger hinzu: »Sie ist
tatsächlich unversehrt.« Emma schwieg und fragte dann: »Ist sie nicht schön?«
    Geoffrey
versuchte, Bewunderung zu zeigen, während er das eigenartige Etwas
betrachtete. Schließlich kam er zu dem Schluß, es handle sich um eine Maske,
ein Frauengesicht, doch es war kaum ... Nun ja, zum einen war es viel zu groß
für ein richtiges Gesicht. Zum anderen waren die Züge viel zu hart und
ausgeprägt, um die einer Frau zu sein. Seine arme Emma hatte wirklich kein
Talent. Kein Wunder, daß sie bisher gezögert hatte, ihm eines

Weitere Kostenlose Bücher