Penelope Williamson
entsprechenden Dokumente.
»Sie ist verständlicherweise
enttäuscht«, sagte Emma und bemühte sich, ruhig und vernünftig zu klingen. »Wir
sprechen seit Tagen von nichts anderem als dem Verlobungsball, und du erklärst
plötzlich, daß sie nicht daran teilnehmen darf. Das muß sie natürlich völlig
aus dem Gleichgewicht bringen.«
Emma stand
langsam auf und ging zum Tisch. Dort sah sie ihre Mutter über die Lilien,
Tulpen und rosaroten Bänder hinweg ernst an. »Mama, ich bitte dich, tu das
Maddie nicht an. Ich werde es nicht ertragen können, wenn du darauf bestehst,
daß sie an meinem Verlobungsball nicht teilnimmt.«
Bethel
beschäftigte sich scheinbar ungerührt mit einer Schleife, die sie um eine
Glasvase band. »Mein Kind, du mußt lernen, in solchen Dingen deine persönlichen
Gefühle aus dem Spiel zu lassen. An oberster Stelle stehen immer das Ansehen der
Familie und gutes Benehmen.«
»Nein,
diesmal nicht«, erwiderte Emma.
Später
staunte sie über den Mut, den sie in dieser Auseinandersetzung plötzlich
aufbrachte. Vielleicht wurde ihr zum ersten Mal die Macht bewußt, die sie
besaß, weil inzwischen die Hoffnungen der Familie allein auf ihr ruhten.
»Diesmal
geht es in erster Linie um Maddie. Wenn du das nicht einsiehst, dann werde ich
... dann werde ich etwas Ungeheuerliches tun. Ich werde für einen Skandal
sorgen und alle deine Hoffnungen zunichte machen, Mama. Ich schwöre dir, das
werde ich tun.«
Bethel zog das Band mit einem
Ruck fest und zerknitterte dadurch die Schleife. Sie stieß einen langen, tiefen
Seufzer aus.
»Wenn man
es nicht besser wüßte, könnte man glauben, ihr zwei wäret in einer armseligen
Hütte bei dem Abschaum der Gesellschaft aufgewachsen. Deine Worte verraten eine
schlechte Abstammung, aber das hat bestimmt nichts mit meiner Familie zu
tun.«
Sie drehte sich entschlossen um und ging zur Tür. Damit
war ihre Arbeit für wohltätige Zwecke und auch die Diskussion beendet. »Ich
meine es ernst!« rief Emma ihr nach, und ihre Stimme zitterte nur ein klein
wenig.
Ihre Mutter schloß die Tür,
ohne etwas zu erwidern, doch Emma wußte, daß sie gewonnen hatte.
Als sie nach oben kam, lag Maddie bereits im Bett. Sie
schlief schwer und unruhig. Es roch unangenehm stark nach Chloralhydrat. Emma
setzte sich neben Maddie auf das Bett und schob ihr die schweißnassen Haare aus
der Stirn. Ihre Schwester hatte trockene aufgerissene Lippen, aber sie
lächelte.
»Siehst du, Stuart«, flüsterte
sie scheinbar glücklich im Traum. »Ich tanze, ich tanze ...«
Am zwölften Mai fand in The Birches ein Ball statt,
um Emmas Verlobung mit Geoffrey Alcott offiziell zu verkünden. Der Ballsaal war
in der Art eines englischen Gartens geschmückt. In großen Töpfen standen
kunstvoll zu Tierformen geschnittene Büsche, und in vergoldeten Rosensträuchern
sagen echte Nachtigallen. Nicht jeder in Bristol war zu diesem
gesellschaftlichen Ereignis eingeladen, sondern nur jene, die wirklich einen
Namen hatten.
Emma bereitete es eine
unglaubliche Genugtuung, daß ein gewisser irischer Einwanderer niemals
eingeladen wurde, daß niemand auch nur auf den Gedanken kommen würde ihn
einzuladen.
Sie tanzte
mit Geoffrey, und wenn er sie manchmal ansah, fühlte sie sich schön und zart
und ein wenig atemlos. Einmal führte er sie durch die großen Glastüren des
Ballsaals hinaus in den richtigen Garten. Der Wind raschelte in den Birken, und
sie roch das Meer. Leichtfüßig eilten sie die Stufen der Veranda hinunter und
liefen auf den Rasen.
Dort tanzten sie einen Walzer
zu der Musik, die sie über das Klopfen ihrer Herzen hinweg kaum hören konnten.
Aber als
sie wieder hineingingen, fand Emma ihre Schwester allein in der Nische unter
der Treppe. Maddie hatte verweinte Augen. Sie wirkten unnatürlich starr vom
Chloralhydrat, das sie eingenommen hatte.
»Er ist nicht gekommen«,
flüsterte sie immer wieder. »Er wird nie mehr kommen.«
Maddie
durfte am Ball teilnehmen, und auch Stuart Alcott war eingeladen worden. Aber
er hatte abgesagt. Sein Bruder erklärte, er sei für einige Zeit in New York,
aber er werde mit Sicherheit zurückkommen, wenn er kein Geld mehr habe.
Bethel gab
Emma am Morgen nach dem Ball Papier und Feder und erklärte, sie müsse ihrem
Vater schreiben und ihn auffordern, nach Hause zurückzukommen. Gehorsam schrieb
Emma den Brief. Später ging sie hinunter zum Bootssteg. Sie setzte sich auf die
grauen, verwitterten Bohlen und schlang die Arme um die Beine. Sie drückte
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