Penelope Williamson
Dazu bist du schließlich da.«
Der Kater sprang fauchend vom
Stuhl. Dann stolzierte er ganz langsam durch die offene Tür ins Freie.
Emma sah
ihm nach. Der Kater hatte eingerissene Ohren, sein Schwanz war an drei Stellen
verkrümmt und erinnerte vage an einen Korkenzieher, und in seinem Fell schienen
die Motten zu sein. »Er heißt Gorgeous – der Prächtige?« fragte sie ungläubig.
Bria
lachte, und Emma staunte über das heitere und gutgelaunt klingende Lachen, das
in großem Gegensatz zu den ernsten Augen stand.
»Shay hat ihn so genannt, weil
er so überaus häßlich ist. Ich wollte ihn Brilliant nennen, denn mit
Klugheit ist er weiß Gott nicht gerade gesegnet.«
Bria lachte noch einmal und
kehrte zum Herd zurück, um den Kessel vom Feuer zu nehmen. An diesem Morgen
hustete sie nicht, sondern hatte rosige Wangen.
Emma setzte sich auf den von
dem Kater angewärmten Stuhl. Es war merkwürdig, aber sie fand großen Gefallen
daran, hier in dieser kleinen Küche zu sein und mit Mrs. McKenna zu plaudern.
Es war, als sei sie eine Nachbarin oder eine Freundin, die zu einer Tasse Tee
kam, um Neuigkeiten auszutauschen.
Nach der anfänglichen
Zurückhaltung schien Bria sich inzwischen über den unerwarteten Besuch zu
freuen. Emma wünschte, sie hätte ebenso
unbefangen sein können. Aber ihre Zunge klebte am Gaumen, und die Hände in den
Lederhandschuhen wurden warm und feucht.
Doch Bria
schwieg, während sie alles für den Tee richtete. Emma versuchte zu übersehen,
daß die einfachen Steingutuntertassen nicht zu den Tassen paßten, daß
die Löffel aus Blech waren, die Milch sich in einer Blechdose befand, und daß
es anstelle von Zucker Sirup gab. Nachdem Bria den Tee eingeschenkt, einen
Teller mit braunen Brotscheiben und Margarine auf den Tisch gestellt hatte und
sich schließlich ihr gegenüber setzte, fühlte sich Emma verpflichtet, etwas zu
sagen, obwohl sie beinahe an ihren Worten zu ersticken drohte. »Heute ist keine
... wirklich keine Wolke am Himmel«, sagte sie stockend. »Und die Sonne
ist schon richtig warm. Vielleicht wird es ja nun endlich Frühling.«
»Ja, das
stimmt«, erwiderte Bria und blickte zur offenen Tür, als verdiene die Sonne am
Himmel einen Blick. »Das Wetter ist jedenfalls ganz anders als letzten
Sonntag, als ich mich lächerlich gemacht habe und vor Hardy's Drogerie in
Ohnmacht gefallen bin.«
Emma entfaltete die dünne
blaukarierte Serviette, legte sie auf den Schoß und trank einen Schluck Tee.
Sie teilte eine Scheibe Brot in vier Teile, aber sie aß nichts. Als sie sich
dabei ertappte, daß sie mit dem Finger Muster auf das Wachstuch zeichnete,
zwang sie sich aufzuhören und holte tief Luft.
»Heute vor
sechs Jahren«, sagte sie leise, »gab es einen schrecklichen Sturm mit Blitz und
Donner. Mein Bruder Willie ist mit seinem Segelboot auf die Bucht
hinausgefahren und nie wieder zurückgekommen.«
Sie hörte, wie Bria heftig
einatmete, und schnell preßte sie ihre Hand vor den Mund, so als wolle sie
einen Schrei unterdrücken. Aber die Worte waren aus Emma hervorgeschossen wie
der Korken aus einer Champagnerflasche. Emma war sicher, daß ihr die Worte
schon seit Jahren in der Kehle gesteckt und nur darauf gewartet hatten, aus ihr
herauszuschießen.
Sie durften nicht über die
Tragödie sprechen, nicht einmal, wenn sie unter sich waren, und nicht einmal,
wenn sie mit ihren trauernden, leidenden Herzen allein waren. Die Umstände
waren für die Familie eine Schande, ein Skandal, und über solche unerfreulichen
Dinge sprach man nicht beim Tee.
Aber Emma wollte darüber
sprechen. Sie mußte sich irgendwie von der Last befreien, denn sonst würde sie
den Verstand verlieren.
Ein Akt der
Verzweiflung und des Wahnsinns.
Sie hörte, wie Bria sich
bewegte und danach das dumpfe Klirren der Tassen. Dann schlossen sich Finger um
ihre Hand und lagen einen Augenblick lang auf dem glänzend braunen Wachstuch.
»Oh, Miss
Tremayne. Es tut mir so leid.«
»Wenn so
etwas geschieht«, sagte Emma zu der Küche mit der verblaßten Tapete und dem
brüchigen Linoleum, »entsteht ein Brunnen voll Schmerz, der bis ins Innerste
reicht, ich nehme an, bis dorthin, wo sich das Herz befindet.« Sie schwieg und
fügte dann tonlos hinzu: »Der Brunnen scheint so entsetzlich leer zu sein. Und
jedesmal, wenn danach etwas Schlechtes geschieht, selbst wenn es kaum
schmerzlich ist, versinkt alles in diesem Brunnen, der einfach da ist und
wartet.«
Emma
dachte, ihre Worte machten vermutlich wenig Sinn,
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