Penelope Williamson
geschieht aus
Freundlichkeit«, erwiderte Emma und empfand dabei einen Anflug von Scham, denn
wenn jemand freundlich und liebenswürdig war, dann Bria McKenna. »Mrs. McKenna
ist neu in Bristol. Sie hat nur wenige Freundinnen. Außerdem kann sie nicht oft
aus dem Haus, denn sie ist in anderen Umständen.«
»Sie ist so gewöhnlich wie der
nasse Ton, mit dem du dir die Hände beschmierst.« Bethel faßte ihre Tochter an
den Schultern und drehte sie auf dem Hocker herum. »Warum tust du mir das an?
Es ist wegen der Ereignisse in jener Nacht, nicht wahr? Du willst mich so wie
dein Vater dafür bestrafen.«
Die Worte
ihrer Mutter schockierten Emma so sehr, daß sie im ersten Augenblick nicht
antworten konnte. Sie war wie vor den Kopf geschlagen.
»Ich will
dich nicht bestrafen, Mama«, flüsterte sie schließlich kaum hörbar, denn
vielleicht wollte sie in Wahrheit, daß nicht nur ihre Mutter, sondern auch sie
selbst bestraft wurde. »Du ... du hast gesagt, wir sollen nie mehr darüber
sprechen.«
Bethel
umklammerte die Schultern ihrer Tochter so fest, daß es schmerzte, aber dann
ließ sie los und legte stöhnend die Hand auf ihre Stirn. »Ich weiß nicht, wie
ich die nächsten Monate überleben soll, bis du endlich verheiratet bist.«
Emma
versuchte es mit einer anderen Strategie. Sie zwang sich zu einem unbeschwerten
Lachen. »Wenn ich dir wirklich das Leben schwermachen wollte, dann könnte ich
eine dieser >neuen Frauen< werden, über die in den Zeitungen und
Zeitschriften so viel geschrieben wird. Ich könnte
anfangen zu rauchen und Fahrrad zu fahren ... oder wenn dir das lieber ist,
könnte ich hier in Bristol eine Baseballmannschaft für Frauen gründen, und wir
würden dann alle Pumphosen tragen.« Sie lachte noch einmal und fragte ihre
sprachlose Mutter: »Glaubst du, Monsieur Worth würde mir welche anfertigen?«
Bethel
lief ein Schauer über den Rücken. Ihr Gesicht wurde schlaff und gelblich fahl
und sah plötzlich aus wie altes Bienenwachs. Emma tat es sofort leid, ihre
Mutter schockiert zu haben. Bethel verstand keinen Spaß. Sie hatte so große Angst
vor einem Skandal wie andere davor, die Masern zu bekommen.
Emma seufzte und legte die
Hände die den Schoß. Dann sagte sie ergeben: »Es war nur ein Spaß, Mama.«
»Ich finde
das alles andere als komisch, Emma.« Ihre Mutter drehte sich ärgerlich um und ging
steif zur Tür. »Beeil dich mit dem Anziehen! Wir kommen unverzeihlich spät,
wenn du so weitermachst.«
Emma
starrte auf die Tür, die sich hinter ihrer Mutter schloß. Widersprüchliche
Gefühle bestürmten sie. Sie empfand Schuld und Angst, aber auch eine heftige
nie gekannte Erregung. Sie mochte vielleicht keine neue Frau sein, aber sie
empfand sich als eine neue Emma. Im Salon, der die beiden Zimmer der Schwestern
miteinander verband, hörte sie das Klicken und Klacken von Maddies Rollstuhl.
Ein Dienstmädchen schob ihre Schwester herein.
Das
Dienstmädchen rollte den Stuhl auf den roten Teppich in die Nähe des großen
Himmelbetts. Maddie entließ die Frau mit einem leichten Kopfnicken, dann
musterte sie ihre Schwester aufmerksam. »Du bist mir ein Rätsel, Emma. Ich habe
erlebt, daß du über und über rot wirst, wenn dir jemand, den du seit über
zwanzig Jahren kennst, nur einen >guten Morgen< wünscht, und heute
bietest du unserer furchteinflößenden Mama, ohne mit der Wimper zu zucken, die
Stirn.«
»Das liegt nur daran, daß meine
Wimpern aus Angst zu gelähmt waren, um einzulenken«, erwiderte Emma, und sie
lächelten beide, obwohl Emmas Hände noch immer leicht zitterten.
Was mochte Maddie von der
Auseinandersetzung gehört haben? Würde Maddie richtig verstanden haben, als
ihre Mutter von Bestrafung gesprochen hatte?
Willie und
die tragischen Ereignisse jener Nacht waren ein Thema, über das sie und ihre
Schwester niemals sprachen. Maddie erwähnte ihren Bruder überhaupt nie. Er war
schließlich für den Unfall verantwortlich, der sie an den Rollstuhl fesselte.
Emma hatte den Eindruck, obwohl Willie nicht mehr lebte, hatte ihm Maddie noch
nicht verziehen.
Maddie
beugte sich vor und betastete den weißen Spitzen- und Crepebesatz des
lilafarbenen Nachmittagskleids aus Musselin, das zusammen mit frischer
Unterwäsche aus Seide und Spitze auf der Bettdecke bereitlag.
»Du gehst
mit Mama aus?« fragte sie leise.
»Zum Tee
bei Mrs. Hamilton.« Emma stand auf und setzte sich ihrer Schwester gegenüber
auf das Bett. Sie nahm einen der Florstrümpfe und streifte ihn über das
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