Pension der Sehnsucht
Nelly ihrem Schicksal.
»Nanu.« Percy musterte sie eingehend. »Dein Freund scheint ja einen sehr hohen Siedepunkt zu haben.«
Sie wollte ihm zufauchen, dass Howard überhaupt keinen Siedepunkt hätte, dann besann sie sich. »Gefalle ich dir?« Kokett strich sie das Haar über die Schultern zurück und lächelte Percy so verführerisch wie möglich an.
»Tja, unter anderen Voraussetzungen fände ich diese Bluse ausgesprochen entzückend«, antwortete er trocken und betrachtete sie eingehend.
Er war offensichtlich verstimmt. Übermütig strich Nelly kurz über seine Wange und schwebte zur Tür. »Gute Nacht, Percy. Warte heute nicht mehr auf mich. Es kann sehr spät werden.« Triumphierend trat sie hinaus in den rosabewölkten Abend.
Howards Reaktion auf Nellys Kleidung war Balsam für ihre Seele. Er schluckte, blinzelte heftig und stammelte während der Fahrt in die Stadt unverständliche, abgehackte Sätze. Nelly sonnte sich in seiner Bewunderung.
Im Ort waren kaum Leute unterwegs, nur bei dem Kino im Außenbezirk ging es etwas lebhafter zu.
Howard parkte den Wagen präzise in einer Lücke, half Nelly beim Aussteigen und schloss das Auto ab. Dann umfasste er zu ihrer maßlosen Verwunderung Besitz ergreifend ihren Arm und führte sie zum Kino.
Eine Stunde später hatte Nelly den Eindruck, dass mit Howard irgendetwas nicht stimmte. Er verschlang weder sein Popcorn mit dem üblichen Heißhunger noch rutschte er auf dem unbequemen Sitz hin und her. Seine geistesabwesenden Augen glänzten fiebrig und leicht verstört.
»Howard«, flüsterte Nelly und berührte seine Hand. Er zuckte zusammen, als hätte sie ihn gekniffen. »Howard, fühlst du dich nicht wohl?«
Statt einer Antwort ließ er die Popcorntüte fallen, riss Nelly an sich und küsste sie ebenso unbeholfen wie leidenschaftlich.
Nelly war entgeistert. Bisher hatte Howard sich darauf beschränkt, sie beim Abschied vor der Haustür brüderlich zu umarmen. Als die Leute in den Sitzreihen hinter ihnen kicherten, riss sie sich von ihm los.
»Howard, benimm dich!«
Er ergriff jedoch ihren Arm und zog sie aus dem Kino.
»Sag mal, Howard, hast du den Verstand verloren?«
»Ich hielt es da drinnen nicht mehr aus«, brummte er und drängte sie zu seinem Wagen. »Es war so stickig und voll.«
»Voll?« Sie blies sich eine verwegene Locke aus der Stirn. »Im ganzen Kino können nicht mehr als zwanzig Leute gewesen sein. Vielleicht solltest du zu einem Arzt gehen.« Sie klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Dann betastete sie prüfend seine Stirn. »Du fühlst dich ganz heiß an, vielleicht hast du ein bisschen Fieber. Ich schlage vor, du fährst gleich nach Hause, und ich nehme mir ein Taxi.«
»Nein«, widersprach Howard so heftig, dass Nelly zusammenfuhr.
Sie blickte ihn nachdenklich an, ehe sie sich ins Auto setzte. In der Dunkelheit konnte sie nicht viel erkennen, aber er raste in hohem Tempo über die kurvenreiche Landstraße. Eine Weile später blinkten die erleuchteten Fenster des Hotels auf.
Plötzlich lenkte Howard den Wagen an den Straßenrand, stellte den Motor ab und schlang die Arme um Nelly. Im ersten Moment war sie mehr überrascht als böse.
»Lass mich sofort los. Howard! Was, in aller Welt, ist denn nur in dich gefahren?«
»Nelly.« Seine Lippen suchten ihren Mund, und diesmal war sein Kuss weder unbeholfen noch brüderlich. »Du bist so schön.« Seine Hand tastete nach dem Ausschnitt ihrer Bluse.
»Howard, du solltest dich schämen!« Nelly stieß ihn energisch fort und rutschte ein Stück zur Seite. »Du fährst auf der Stelle nach Hause, nimmst eine kalte Dusche und legst dich ins Bett.«
»Aber, Nelly …«
»Keine Widerrede.« Sie öffnete die Tür und sprang aus dem Wagen. Draußen am Straßenrand strich sie sich das Haar aus der Stirn und glättete ihre Kleidung. »Ich laufe jetzt zum Hotel, bevor deine Gefühle noch mal mit dir durchgehen. Du kannst dich freuen, wenn ich deiner Tante nichts von deinem Wahnsinnsanfall erzähle.« Sie machte auf dem Absatz kehrt.
Zehn Minuten später stapfte Nelly keuchend den steilen Hügel hinauf. Sie trug die Sandalen in der Hand und verwünschte alle Männer. Über ihr raschelte das erste Laub der hohen Bäume. Ein einsames Käuzchen stieß einen Schrei aus. Doch Nelly befand sich nicht in der Stimmung, den Zauber der Nacht zu genießen.
»Du hältst den Schnabel«, beschimpfte sie den Vogel.
»Ich habe doch noch gar nichts gesagt«, antwortete eine tiefe Stimme. Nelly wollte
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