Pension der Sehnsucht
schreien, doch Percys Hand verschloss ihr den Mund.
»Was, in aller Welt …?«
»Gehst du spazieren?« erkundigte er sich freundlich. »Wolltest du noch ein bisschen frische Luft schnappen?«
»Sehr witzig.« Sie wollte weiterlaufen, doch er hielt sie am Handgelenk fest.
»Was ist los? Ging deinem Freund das Benzin aus?«
»Deine Ironie hat mir gerade noch gefehlt.« Erst jetzt merkte Nelly, dass ihr vor Schreck die Sandalen entglitten waren, und sie suchte auf dem dunklen Boden danach. »Ich bin nämlich gerade hundert Kilometer gelaufen, nachdem ich mich gegen einen Verrückten gewehrt habe.«
»Hat er dir wehgetan?« Percy musterte sie prüfend.
»Natürlich nicht.« Nelly schnaubte. »Howard könnte keiner Fliege etwas zu Leide tun. Ich weiß auch nicht, was plötzlich in ihn gefahren ist. So merkwürdig hat er sich noch nie benommen.«
»Bist du wirklich so naiv, oder tust du nur so?« Percy packte sie bei den Schultern und schüttelte sie leicht. »Werd endlich erwachsen, Nelly. Schau mal in den Spiegel. Der arme Howard konnte ja gar nicht anders.«
»Sei nicht albern.« Sie befreite sich aus seinem Griff. »Howard und ich kennen uns von klein auf. Und so hat er sich noch nie benommen. Vielleicht hat er in letzter Zeit zu viele Liebesromane gelesen, oder dergleichen. Du liebe Güte, als ich zehn Jahre alt war, haben wir noch zusammen nackt im See gebadet.«
»Hat dich noch niemand darüber aufgeklärt, dass du jetzt nicht mehr zehn Jahre alt bist?« Sein Tonfall verwirrte sie. »Keine Angst, Nelly, ich tue dir nichts.« Sie spürte, wie ihre Knie zitterten. »Ich käme mir vor wie ein Puma, der sich an einer Hauskatze vergreift.«
Einen Augenblick lang schauten sie sich nur an. Über ihnen schimmerten die Sterne, der Mond schien sie zu beobachten, und ein Nachtvogel stieß einen klagenden Ruf aus. Dann schmiegte sie sich in seine Arme.
Nelly stellte sich auf die Zehenspitzen, um Percy zu küssen. Die Bäume flüsterten, und sie seufzte hingebungsvoll. Vergangenheit und Zukunft waren ihr gleichgültig, sie gab sich ganz der Gegenwart hin. Sein Mund berührte ihren Hals, und sie stöhnte auf, schob die Finger in sein Haar und öffnete die Lippen, um seine Küsse zu empfangen.
Eng umschlungen standen sie im Schatten der hohen Bäume, umgeben von den Geräuschen der Nacht. Doch plötzlich ging die Eingangstür des Hotels auf, und ein breiter Lichtstrahl fiel über den Hof.
»Ach, Percy, da bist du ja. Ich habe schon auf dich gewartet.«
Niedergeschlagen löste Nelly sich aus Percys Armen. Lässig lehnte Eliza am Türrahmen. Ein Negligee aus schwarzer, hauchdünner Spitze umschmeichelte ihren faszinierenden Körper. Das dunkel glänzende Haar fiel lose über ihren Rücken.
»Warum?« fragte Percy brüsk.
»Percy, Liebling, stell dich doch nicht so dumm«, schmollte Eliza.
Nelly war zumute, als hätte ihr jemand einen Kübel Wasser über den Kopf gegossen. Sie fühlte sich ausgenutzt. Percy hatte sie geküsst, während eine andere Frau schon auf ihn wartete. Sie bückte sich nach ihren Sandalen.
»Wo willst du hin?« Percy ergriff ihr Handgelenk, als sie hastig den Rückzug antreten wollte.
»In mein Zimmer, wohin denn sonst. Mir scheint, heute Abend hast du schon etwas vor.«
»Moment noch, eine Minute.«
»Lass mich bitte sofort los. Mein Bedarf an Ringkämpfen ist für heute Abend gedeckt.«
Der Griff um ihr Handgelenk wurde härter. »Am liebsten würde ich dir das Genick umdrehen.«
Dann ließ Percy sie los. Mit den Sandalen in der Hand stürmte Nelly die Treppe hinauf ins Haus, während Eliza triumphierend lächelte.
9. K APITEL
Nelly holte sich die Akten und Geschäftsbücher in ihr Zimmer. Dort konnte sie am ehesten ungestört arbeiten, ohne durch Percy abgelenkt zu werden. Sie vergrub sich in dem Papierwust und versuchte, sich darauf zu konzentrieren.
Draußen herrschte trübes Wetter. Nieselregen sprühte gegen die Fensterscheiben und bildete den passenden Hintergrund für ihre Stimmung.
Nelly schrak hoch, als die Tür plötzlich aufgestoßen wurde. Percy trat ein. Ihr stockte der Atem.
»Versteckst du dich?« Seine Lippen wurden zu einem schmalen Strich, und auch seine Laune hatte sich seit dem vergangenen Abend nicht gebessert.
»Nein.« Instinktiv hob sie das Kinn. »Ich finde es nur praktischer, in meinem Zimmer zu arbeiten, solange du das Büro beanspruchst.«
»Aha.« Drohend beugte er sich über den Schreibtisch, sodass sie sich klein und hilflos vorkam. »Eliza hat
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