Pension der Sehnsucht
mir von eurem Streit gestern im Aufenthaltsraum berichtet.«
Überrascht öffnete Nelly den Mund. Sie wunderte sich, dass Eliza den Mut besaß, ihr Verhalten zu erklären.
»Habe ich nicht ausdrücklich gesagt, Nelly, dass du Eliza, solange sie in diesem Hotel wohnt, mit der gleichen Höflichkeit zu behandeln hast wie alle anderen Gäste?«
Nelly wunderte sich immer mehr. »Entschuldige, Percy, aber heute Morgen bin ich offenbar besonders begriffsstutzig. Würdest du mir diese Frage bitte einmal erläutern?«
»Sie erzählte mir, du seiest regelrecht unverschämt zu ihr gewesen. Du hättest dich dazu hinreißen lassen, ihr ein Verhältnis mit mir zu unterstellen, hättest dich geweigert, ihr etwas zu trinken zu geben und außerdem das Personal angewiesen, ihr die Arbeit nach Möglichkeit zu erschweren.«
»So, das hat sie gesagt?« Nelly wurde zornig. Bedächtig legte sie den Bleistift zur Seite und erhob sich, obwohl Percy so bedrohlich nahe vor ihr stand. »Ist es nicht erstaunlich, wie unterschiedlich zwei Menschen ein und dieselbe Situation auslegen? Na schön.« Sie schob die Hände in die Taschen ihres Rocks und straffte die Schultern. »Jetzt will ich dir etwas sagen …«
»Wenn du mir deine Version von dem Streit erzählen willst, dann bitte«, forderte Percy sie auf. »Ich bin gespannt.«
»Ach du.« Sie verlor die Beherrschung und boxte Percy mit der Faust auf die Brust. Nachsichtig lächelnd betrachtete er die kleine Hand. »Wie großmütig von dir«, höhnte Nelly. »Du bildest dir wohl ein, du seiest besonders fair?« Sie wirbelte herum und wanderte unruhig auf und ab. Sie fragte sich, ob sie ihm ihren Streit mit Eliza wörtlich wiedergeben sollte oder nicht. Schließlich siegte ihr Stolz über ihren Wunsch, sich vor Percy zu rechtfertigen. »Nein danke, auf so viel Gnade verzichte ich. Es war meine Schuld.«
»Nelly.« Mit zwei Schritten war Percy bei ihr, umfasste ihre Schultern und drehte sie zu sich herum. »Musst du mich ständig reizen?«
»Und musst du ständig auf mir herumhacken?« erwiderte sie.
»Ich hacke nicht ständig auf dir herum«, verteidigte er sich.
»Glaubst du. Dabei muss ich mich andauernd in irgendeiner Weise vor dir rechtfertigen. Ich habe keine Lust mehr, dir alles, was ich tue oder sage, zu erklären. Ich habe es satt, Blitzableiter für deine Launen zu sein. Wie komme ich dazu, mich ständig deinen Stimmungen anzupassen? Ich weiß ja nie, ob du mich im nächsten Moment küsst oder mich in die Ecke schiebst wie ein ungezogenes Kind. Ihr beide behandelt mich, als sei ich naiv, untüchtig und dumm. Ich bin es nicht gewöhnt, mich zu ducken.«
Die Worte sprudelten aus ihr heraus, während Percy sie nachdenklich musterte.
»Und vor allem bin ich deine kostbare Eliza leid. Ich lasse mir nicht gefallen, dass sie an diesem Haus kein gutes Haar lässt und mich ständig betrachtet, als sei ich eine Magd, die gerade die Kühe auf die Weide getrieben hat. Ich wehre mich dagegen, dass sie dir Lügen über mich auftischt. Und dich hasse ich, weil du mich dazu benutzt, dich als Mann zu bestätigen, während Eliza schon halb nackt auf der Suche nach dir durch das Hotel rennt und darauf wartet, dass du ihr das Bett anwärmst. Und …«
Das Telefon läutete und unterbrach ihren Redeschwall. Nelly riss den Hörer von der Gabel und fauchte: »Was los ist? Nichts ist los. Was gibt’s, Eddie?« Während sie lauschte, rieb sie sich den Nacken, der bereits wieder schmerzte. »Ja, er ist hier.« Sie drehte sich um und hielt Percy den Hörer hin. »Für dich. Ein Paul Bailey.«
Percy nahm Nelly den Hörer ab. Als sie sich jedoch umdrehte, um das Zimmer zu verlassen, hielt er sie am Arm fest. »Du bleibst hier.« Er ließ sie erst los, nachdem sie zustimmend genickt hatte. Dann ging sie zum Fenster und starrte in den strömenden Regen hinaus.
Percy sagte nur wenig. Er wirkte konzentriert, und gelegentlich antwortete er einsilbig. Nelly fühlte sich bedrückt, leer und ausgebrannt, nachdem ihre größte Wut und ihr Groll verraucht waren. Sie erkannte erschrocken, welchen Fehler sie begangen hatte.
Jetzt bleibt nur noch die Arbeit im Hundezwinger übrig, dachte sie erbittert. Eliza wird sich freuen, wenn sie merkt, dass sie Recht behalten hat. Verflixt noch mal!
Sie legte die Stirn gegen das kühle Fensterglas. Warum musste ich mich auch in diesen unmöglichen Mann verlieben, überlegte sie betrübt.
»Nelly!« Sie zuckte zusammen. Als sie sich umdrehte, sah sie, wie Percy gerade den
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