Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)
Lange Zeit vertraglich gebunden zu sein ist für mich eine Belastung, und dadurch kann einem die Leidenschaft abhanden kommen. Deshalb schließe ich nur Einjahresverträge ab. Ich würde nur für sechs Monate unterschreiben, wenn ich das könnte. Ich war immer der Ansicht, dass alles damit beginnt, dass man nach dem Ausschau hält, was man wirklich mag, und das ist heutzutage das Allerschwierigste. So etwas zu finden ist das Wesentliche, das allem anderen zugrunde liegt.«
Aber dieses Wesentliche entzog sich ihm in seiner letzten Saison: Er genoss die großen europäischen Spiele nicht einmal, seine Sorgen und die Unentschlossenheit setzten ihm zu. Sollte ich weitermachen? Ist es besser für Barcelona, wenn ich weitermache, oder sollte ich mich nach neuen Aufgaben, neuen Lösungen umsehen, von denen sich die Menschen mitreißen lassen? Wie kann ich neue Mittel und Wege finden, um Leo Messi das zu geben, was er braucht? Und Iniesta und Fàbregas und Alves? Kann ich noch einen Monat, noch ein Jahr weitermachen? Wie altern junge Trainer, wenn sie schon so früh erfolgreich waren? Wäre es nicht besser, sich neue Ziele zu suchen?
Roman Abramowitsch hatte Guardiolas Sorgen schon vor Jahren ausgemacht und wollte sich die Situation zunutze machen. Er war vor Peps Ausstieg in Barcelona zwei Jahre lang hinter ihm her und versuchte ihn bei vielen Gelegenheiten zu überreden, an der Stamford Bridge die Zügel in die Hand zu nehmen. Der Klubeigentümer intensivierte nach Carlo Ancelottis Entlassung bei Chelsea Ende Mai 2011 seine Bemühungen. André Villas-Boas war als Nachfolger des Italieners nur vierte Wahl, nach Guus Hiddink, José Mourinho und Pep, der seinen Vertrag erst im Februar 2011 um ein weiteres Jahr verlängert hatte. Abramowitsch lud Pep im Juni 2011, kurz vor Beginn von dessen letzter Saison als Bar Ç a-Cheftrainer, über einen Mittelsmann zu einem Gespräch auf seine Jacht in Monaco ein. Pep lehnte ab. Aber Abramowitsch sollte es während Peps letzten Monaten in Barcelona erneut versuchen. Er bot Rafa Benítez bei zwei Gelegenheiten einen Dreimonatsvertrag an, mit dem er nach der Entlassung von André Villas-Boas die Saison 2011/12 zu Ende bringen sollte, und erwog für die Saison 2012/13 die Einsetzung eines Interimstrainers – immer in der Hoffnung, Pep vorzeitig ködern zu können.
Chelsea war der erste Klub, der aktiv versuchte, Pep zu einem Vertragsabschluss zu verlocken. AC Mailand, Inter Mailand und Bayern München sollten noch folgen.
Bereits früher in der Saison gab es einen Augenblick, der sich für den Rest dieser Spielzeit auf die Gruppendynamik der Mannschaft auswirken sollte. Pep ließ Messi im dritten Punktspiel gegen Real Sociedad San Sebastián zunächst auf der Bank: Er dachte, der Spieler werde nach der Rückkehr von Einsätzen für die argentinische Nationalmannschaft müde sein. Leo zeigte seinen Zorn auf spektakuläre Art, sein Beitrag war in den wenigen Minuten, die er dann noch spielte, kaum wahrnehmbar, und am nächsten Tag erschien er nicht zum Training. Ab jenem Tag verpasste Messi kein einziges Spiel mehr.
Messis Rolle war bedenkenswert. Pep hatte eine Mannschaft aufgebaut, in der sich alles um den kleinen, alle Rekorde brechenden Argentinier drehte und in der es eine Vielzahl von Stürmern gegeben hatte, die gekommen und wieder gegangen waren (Ibrahimović, Eto’o, Bojan Krkić; selbst David Villa musste sich daran gewöhnen, auf den Flügel auszuweichen, obwohl ihm bei seiner Ankunft zugesagt worden war, er werde Barcelonas Nummer neun sein), weil sie sich nicht an eine Spielweise anpassen konnten, die verlangte, sich Messi unterzuordnen. Wenn das Team zu schwächeln begann, vor allem bei Auswärtsspielen, erhielt der Argentinier größere Verantwortung, und Pep stellte Mannschaften zusammen, die ihn unterstützen sollten. Aber die Bevorzugung Messis nahm anderen Spielern einen Teil ihrer Verantwortung weg und schüchterte die jüngeren Profis ein.
Messi brachte es schließlich in allen Pflichtspielen der Saison 2011/12 auf insgesamt 73 Tore. Fàbregas und Alexis, die beiden Nächsten auf der internen Torjägerliste, kamen dagegen nur auf jeweils 15 Tore. Pep schuf ein Torjäger-Monster, aber das Team als Ganzes hatte darunter zu leiden – und er wusste, dass er für diese Situation genauso verantwortlich war wie jeder seiner Spieler. Johan Cruyff kommentierte das so: »Guardiola musste in der Kabine viele Egos im Zaum halten. Es ist keine Überraschung, dass ihm die
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