Pep Guardiola: Die Biografie (German Edition)
hatte, und der Mittelfeldspieler Touré vorgesehen, eine Wahl, die alle überraschte. Keita war der defensive Mittelfeldmann, und Iniesta sollte Messi und Eto’o in der Offensive unterstützen.
Viele der Spieler hatten noch nie eine solche Stadionatmosphäre erlebt. Es war lange vor Spielbeginn schon laut, das Gebrüll, der Erfolgshunger, der einem aus allen Ecken des Stadions entgegenschlug, waren eindrucksvoll. Ein verblüffter Pep Guardiola räumte nach dem Spiel ein, dass diese Atmosphäre mit Sicherheit einschüchternd gewirkt hatte.
Der Coach hatte bei den Trainingseinheiten und bei der Taktikbesprechung vor dem Spiel betont, was zu tun war, um Probleme mit Chelseas Angreifer Didier Drogba zu vermeiden: Im Wesentlichen ging es darum, nicht an ihm zu kleben, wenn er einem den Rücken zuwandte. Pep wies die Spieler auch an, ein paar Spielzüge in einem Bereich zu wiederholen, um die Aufmerksamkeit der Chelsea-Verteidiger zu wecken und beim nächsten Mal zu ihrer Überraschung dann auf der anderen Seite aufzutauchen.
Aber es war von Anfang an offensichtlich, dass Barcelona die Abwehr des Gegners nicht knacken konnte. Die Mannschaft hatte zwar den Ball, verbreitete aber keinerlei Gefahr. Víctor Valdés hielt sie mit wichtigen Aktionen bei Chelsea-Kontern oder gefährlichen Standardsituationen im Spiel, aber Barcelona ging, nachdem Essien mit einem Distanzschuss getroffen hatte, mit einem 0:1-Rückstand in die Pause.
Pep musste eingreifen. In dem kurzen, engen Gang, der an der Stamford Bridge zur Gästekabine führt, sagte er zu niemandem etwas. Sobald er und alle anderen dann in der Kabine waren, stand er energisch gestikulierend in der Raummitte, hielt Blickkontakt zu den Spielern und sagte, sie müssten sich an das halten, was sie die ganze Saison über getan hätten, und sollten keine Angst haben. »Glaubt daran, glaubt von ganzem Herzen daran, dass wir ein Tor schießen können, dann werden wir definitiv treffen.«
Außerdem erging noch die taktische Anweisung, schnell über die Flügel zu spielen, denn Chelsea ließ Spielzüge aus der Abwehr heraus zu, und weder Anelka noch Malouda schirmten diese Bereiche besonders gut ab.
Chelsea, das von Guus Hiddink betreut wurde, war ein aktiverer Gegner als Real Madrid wenige Tage zuvor. Die Mannschaft trat Bar Ç a mit einer kompakten Abwehr und übermenschlichen Anstrengungen all ihrer Spieler gegenüber. Für den norwegischen Schiedsrichter Tom Henning Øvrebø, der Chelseas Moral untergrub, war es ein schicksalhafter Abend. Er sprach einen ungerechtfertigten Platzverweis gegen Abidal aus, ließ aber Bar Ç a bei einer Reihe elfmeterreifer Situationen – gemessen an den Chelsea-Protesten waren es vier – ungestraft davonkommen. Die gröbste Fehlentscheidung traf er bei einem klaren Handspiel von Gerard Piqué nach der Pause.
Vielleicht hätte Pep Guardiola Piqué nicht zu einem so frühen Zeitpunkt (es waren noch 20 Minuten zu spielen) in den Angriff beordern sollen, und vielleicht hätte Hiddink nicht zum etwa gleichen Zeitpunkt den Verteidiger Juliano Belletti für den vermeintlich verletzten Drogba einwechseln sollen, weil er dadurch seinen Spielern das falsche Signal gab. Beide Trainer mögen zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Fehler gemacht haben, aber beide waren sich einig, dass das Spiel gegen Ende so gut wie gelaufen war. Also umarmte Guardiola Hiddink, es sah für manche Leute so aus, als wollte er ihm zum unmittelbar bevorstehenden Sieg gratulieren.
Ja, das war eine Umarmung, aber eine von der ungewöhnlichen Art, die sogar mit einem Lächeln verbunden war. Es war die Umarmung eines noblen Kämpfers, der die Leistung seines Gegners bei einem außerordentlichen Ringen anerkennt.
Wenige Sekunden später traf Iniesta ins Tor.
Es war Barcelonas einziger Torschuss im ganzen Spiel, in der 93. Minute.
Die Barcelona-Fans wählten dieses Tor zum besten Augenblick der gesamten Saison, besser als alle Endspiele jenes Jahres, besser als das Champions-League-Endspiel in Rom gegen Manchester United, besser sogar als die sechs Tore im Bernabéu-Stadion. Es war einfach ekstatisch, orgiastisch. Wer kein Chelsea-Fan war, vollführte Luftsprünge, um mit Iniesta zu feiern.
»Es lief immer schlechter für uns in diesem Spiel«, erinnert sich Iniesta. »Wir waren müde. Es war keine körperliche Müdigkeit, das war eher etwas Psychologisches. Alves marschierte den rechten Flügel hinunter, flankte in die Mitte, der Ball fiel Samuel [Eto’o] vor die Füße, und
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