Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
wie möglich finden.«
»Dabei kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Wo wohnte er?«
»Das weiß ich nicht.«
»Ist ja unglaublich. Sie müssen sich doch irgendwo getroffen haben, und doch sicher nicht in Ihrer Wohnung!«
»Warum nicht?«
»Würden Sie einen Skandal riskieren? Ich nehme an, Ihr Gatte ist tolerant, aber er geht nicht soweit, Ihnen zu erlauben, daß Sie Ihre Liebhaber in derselben Wohnung empfangen, in der Sie mit Ihrem Sohn leben.«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Julio erzählte es mir.«
»Das ist nicht wahr. Die Hauswartsfrau hat es Ihnen erzählt. Ich unterhielt mich mit ihr, und sie erzählte mir alles. Sie wollte mir damit einen Gefallen tun, denn sie hielt Sie für einen Spion meines Mannes.«
»Also gut, lassen wir das. Wo trafen Sie sich denn?«
»Meine Eltern haben hier ganz in der Nähe ein leerstehendes Haus, in Caldetas, am Meer.«
»Ich weiß, wo Caldetas liegt.«
»Dort trafen wir uns immer. Meine Eltern fahren nicht mehr hin. Sie wollten es verkaufen, konnten sich aber nicht zu einer Entscheidung durchringen. Ich glaube, sie haben inzwischen vergessen, daß sie dieses Haus immer noch besitzen. Dort trafen wir uns. Deshalb mußten wir weder zu ihm noch zu mir gehen.«
»Kannten Sie irgendeinen seiner Bekannten oder Freunde? Seine Gewohnheiten? Wo aß er normalerweise?«
»Wenn wir zusammen aßen, dann hier. Mehr weiß ich nicht von seinem Leben.«
»Wie haben Sie sich kennengelernt?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Ich habe Zeit.«
»Ich nicht.«
Aber irgendwo fand sie dann doch die Zeit. Sie gingen über die Straße und setzten sich ins
Oxford
, ein anständiges und fast immer leeres Lokal, sehr geeignet für ein ausführliches Gespräch. Zwischen den Kellnern und den Tischen saßen als schallschluckende Barriere ein paar Leute an der Bar, die einen verspäteten Aperitif zu sich nahmen. Teresa erzählte ihm die Geschichte ihrer ersten Begegnung im Büro eines Importeurs holländischer Produkte. Sie war hingegangen, um eine Sendung indonesischer Kleinkunst und Hippieprodukte aus Amsterdam abzuholen. Julio war dort und erkundigte sich nach einer Sendung Klötenkäse, den er bestellt hatte. Teresa lachte nun selbst, und auch Carvalho lachte lauthals mit, ohne die Verlegenheit von vorhin, als er diese Obszönität zum erstenmal hörte.
»Er machte sich über meine Waren lustig, ich mich über seine. Dann zog er mich mit meiner Kleidung auf und ich ihn mit der seinen. Ich sagte, er sei wie ein Bürgerlicher angezogen, der gerade aus Vitoria ankommt und geblendet ist von der Kleidung der Manager. Er wollte mich nur anmachen, das wußte ich, aber der Typ gefiel mir, und es war die Mühe wert herauszufinden, ob er wirklich so war, wie er aussah. Und er war es nicht. Er hatte Klasse.«
Die Frau erzählte dies alles in einem Ton, der Carvalho oberflächlich erschien. Sie erzählte von diesem Spiel und gab zu, daß es ein Spiel war. Sie griff nicht zur Melodramatik der Witwe Salomons. Teresa Marsé war stets bereit, sich überraschen zu lassen, erlebte aber selten eine wirkliche Überraschung. Die Begegnung mit Julio war das überraschende Erlebnis eines Menschen, der nicht einzuordnen war, ein einfacher Mensch mit der Fähigkeit, dies zu verheimlichen, ein Unwissender, der keiner mehr war, ein phantasievoller Mann mit Händen, die stark genug waren, die Wirklichkeit zu liebkosen.
»Wir hatten keine feste Beziehung. Ich machte ihm meinen Standpunkt in aller Deutlichkeit klar. Ich habe mich nicht vom Joch meiner Ehe befreit, um ein anderes auf mich zu nehmen. Zu Anfang verstand er das nicht. Ich glaube, einer seiner vielen Widersprüche war seine Eifersucht. Er war eifersüchtig. Schon allein die Möglichkeit, daß ich mit anderen Männern ausgehen könnte, machte ihn eifersüchtig.«
»Nahmen Sie die anderen Männer auch mit in das Haus in Caldetas?«
»Warum nicht? Selbst Julio benutzte dieses Haus für seine Affären mit anderen Frauen. Als ich ihn davon überzeugt hatte, daß es das beste war, uns nicht gegenseitig einzusperren, bat er mich ab und zu, ihm das Haus zu überlassen. Ich wußte immer, zu welchem Zweck es geschah, und gab ihm den Schlüssel. Wollen Sie ihn?«
»Würden Sie mitkommen?«
Teresa Marsé musterte ihn mit skeptischem Blick. »Sie sehen nicht schlecht aus. Aber ich bin im Moment leidenschaftlich verliebt.«
»In Julio.«
»Das ist vorbei. Fast. Wie spät ist es genau?«
»Eine Frau mit so geregeltem Zeitplan wie Sie trägt keine
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