Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
im Abgang ein so gutes Bukett entfaltete, daß sich Carvalho sogar nach seiner Herkunft erkundigte.
»Dieser Wein kommt wohl aus Ampurdán, aus Perelada oder Corballa?«
»Fast richtig getippt! Wir holen ihn von etwas weiter oben, aus Montmany.«
»Also, er läßt sich gut trinken.«
»Er geht gut runter. Ein bißchen schwach, aber nicht schlecht.«
»Schwach?«
Jetzt ahmte La Andaluza Jerry Lewis nach.
»Schwach?« Sie schielte.
»Also, mir ist er schon zu Kopf gestiegen!«
Sie tat weiter, als würde sie schielen. Als ihre Augen die Symmetrie wiedergefunden hatten, lachte sie über ihren eigenen Witz, während sie mit einem Zahnstocher Jagd auf die Fleischreste zwischen ihren Zähnen machte.
»Los, erzähl ihm das von heute früh.«
»Ach ja, Pepe, ich bin schon ganz schön beschwipst. Brauchst du nicht ab und zu eine Assistentin?«
La Andaluza senkte die Stimme, wie es sich ihrer Meinung nach bei Verschwörungen gehörte.
»Den ganzen Vormittag habe ich spioniert. Schau mal, wie die meine Haare gemacht haben! Gar nicht so schlecht. Ich dachte, es würde schlimmer. Aber ich hab’ mir alles machen lassen, was es gibt. Von neun Uhr vormittags bis zwei Uhr nachmittags war ich dort im Salon.«
»Und?«
»Was und?«
»Was hast du gesehen?«
»Sie haben jede Menge Arbeit. Die vier Mädchen und Queta kommen kaum nach. Wenn ich doch nur auf meine Mutter gehört hätte! Du weißt doch, Pepe, ich bin aus Bilbao, aber in diesem Gewerbe muß man entweder behaupten, daß man aus Andalusien kommt, oder man kriegt keine Kundschaft. Ich weiß nicht mal, warum. Ich hab’ mir angewöhnt, wie die Andalusier das C wie S zu sprechen, und inzwischen glaube ich schon selbst, daß ich aus Sevilla stamme!«
Carvalho hatte immer geglaubt, die Manie der baskischen, katalanischen oder zentralspanischen Prostituierten, sich als Andalusierinnen auszugeben, sei reiner Rassismus. Auf Grund des schlechten Rufs dieses verachteten Gewerbes würden sie sich das Stigma der am wenigsten entwickelten Region geben, damit der ethnische Stolz der Basken, die adlige Herkunft der Kastilier und die industrielle Produktivität der Katalanen unangetastet blieben. Aber La Andaluza bestand darauf, daß es dabei um die Kundschaft ging.
»Es geht um die Freier. Sag mal einem von denen, daß du aus Bilbao kommst, und er schaut dich an wie sonstwas. Als könntest du es ihm ohne das andalusische Genuschel nicht genausogut besorgen.«
La Andaluza revanchierte sich nun für Pepes gastronomische Vorträge. Sie wies nach, daß auch in der Hurerei Theorie und Praxis unzertrennlich sind und daß die Arbeitsteilung zu katastrophalen Trennungen der beiden geführt hat, und zwar nicht nur in allen Zünften und Gewerben, sondern auch in der Philosophie, der Soziologie und der Hurologie. Aus diesem Grund stammt der größte Teil der Bücher, die über Prostituierte geschrieben wurden, von prophylaktischen Doktoren und Doktorinnen, denen jegliche praktische Erfahrung in der Sache fehlt, und unter diesen Umständen stellten La Andaluzas theoretische Fähigkeiten sie alle weit in den Schatten.
»Es gibt eine Menge blöder Weiber, die mit ›Süßer‹ und ›Liebling‹ und ›Ich mach ’s dir schön‹ auf die Freier losgehen. Es gibt welche, die anbeißen, und es gibt andere, denen paßt weder das ›Süßer‹ noch der ›Liebling‹, noch das ›Ich mach’s dir schön‹. Jeder einzelne ist da anders.«
Carvalho steuerte das Raumschiff aus dem Kosmos der Prostitution zurück in die Umlaufbahn des Salons Queta.
»Ach ja, ich hab’ mich verquatscht. Ich dachte an meine arme Mutter, die wollte, daß ich Friseurin lernte. Jetzt wäre ich eine Dame und würde gutes Geld verdienen.«
»Dir geht’s nicht schlecht. Du kannst dich nicht beklagen.«
»Sag so etwas nicht, Pepe, gerade jetzt, wo ich mich verstecken muß, habe ich die ganze Woche noch keine Peseta verdient. Die schon, die hat’s geschafft, sich was aufzubauen. Mit deiner Hilfe. Wenige Männer hätten für Charo das getan, was du für sie getan hast, Pepe. Ein anderer hätte sie ausgebeutet. Aber du hast zu ihr gesagt, sie soll versuchen, sich ein paar Kunden auszuwählen und sie zu sich nach Hause kommen zu lassen. Nicht jedem nachzulaufen. Sie ist fast schon eine Dame.«
Charo war zu Tränen gerührt, legte ihre Hand auf Pepes Hand und übertrug ihm einen Teil ihrer zärtlichen Gefühle. ›Eines Tages heirate ich sie‹, dachte Pepe. Dieser Wein hatte tatsächlich mehr in sich, als er nach
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