Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
Rolle, ebensowenig, aus welchem Land sie stammte. Teresa hätte ebensogut eine Skandinavierin sein können, die sich als Tuareg- oder als Mayafrau verkleidet hatte und im Schatten der Tempel von Chichén Itzá saß. Gab man die Geographie und den nächtlichen Hintergrund hinzu, wirkte die junge Frau wie eine unbekümmerte Grundsatzerklärung der kontrollierten Unabhängigkeit. Sie hängte sich bei Carvalho ein und sprach erst, als er nach hundert Metern immer noch nicht gefragt hatte, wohin er gebracht wurde.
»Was hast du mit mir vor? Willst du mich aushorchen oder mit mir ins Bett gehen?«
»Zunächst will ich zu Abend essen.«
»Ich bin zufrieden, wenn ich irgendwas zwischen die Zähne bekomme.«
»Ich nicht. Und hier. Das erste Geschenk des Abends.«
Carvalho reichte ihr ein altes Buch, dessen rosafarbener Umschlag schon ziemlich vergilbt war.
»
Die Physiologie des Geschmacks
von Brillat-Savarin. Und was soll ich mit diesem Buch?«
»Lies es mal in Ruhe! Bestimmt hast du
Materialismus und Empiriokritizismus
gelesen!?«
»Sieh mal an! Ein Intellektueller!«
»Also, lies jetzt das hier, das bildet deinen Gaumen. Vielleicht quälst du dann in Zukunft deine Begleiter nicht mehr damit, daß du sie zu Kroketten aus der Kühltruhe einlädst.«
»Was bist du eigentlich? Bulle? Marxist? Gourmet?«
»Exbulle, Exmarxist und Gourmet.«
Carvalho ergriff die Initiative und führte Teresa ins Restaurant
Quo Vadis
. Dort erwiderte er die protokollarische Begrüßung des regierenden Clans, dem eine energische Mutter vorstand. Sie dirigierte alles von ihrem Sessel aus, der direkt am Eingang stand.
Als Teresa die Preise gesehen hatte, erklärte sie vorsorglich: »Ich nehme nur einen Gang.«
»Wieso, bist du knapp bei Kasse?«
»Nein, aber ich sehe nicht ein, warum ich fürs Essen soviel Geld verschwenden soll! Mir hätte ein einfaches Restaurant genügt!«
»Ich habe meinen distanzierten Respekt vor der Bourgeoisie immer noch nicht abgelegt und bin immer noch der Meinung, daß sie es versteht zu leben!«
»Wer bestreitet das?«
»Neunundachtzig Prozent der Bourgeoisie dieser Stadt essen abends etwas aufgewärmten Spinat und einen kleinen Seehecht, der sich in den Schwanz beißt.«
»Das ist gesund.«
»Würden sie den Spinat mit Rosinen und Pinienkernen essen und statt des Seehechts eine kleine Goldbrasse mit Kräutern, in Alufolie gewickelt und im Ofen gebacken, dann wäre dies ein ebenso gesundes, aber wesentlich teureres und phantasievolleres Abendessen.«
»Und das allermerkwürdigste ist, daß du das ernst meinst!«
»Absolut. Sex und Gastronomie sind die ernsthaftesten Dinge, die es gibt!«
»Komisch, etwas Ähnliches sagte auch Julio. Nicht genau das, aber so ähnlich sagte er es. Auch er wollte es zu einem Gaumen mit Doktortitel bringen. Dein Niveau erreichte er allerdings nicht. Er blieb bei Seezunge Müllerin und
Canard à I’ Orange
stehen. Das sind immer die ersten Gerichte, die sich Emporkömmlinge in ihrem Terminkalender notieren.«
Pepe war versucht, ihr eine Wodkaflasche an den Kopf zu werfen, als sie nichts weiter als Spiegeleier mit Speck bestellte. Er hatte sich als Vorspeise Plinzen mit geeistem Wodka bestellt und gehofft, sie würde mitziehen. Als Hauptgericht bestellte er sich ein Filetsteak vom Stier. Teresa konnte sich nicht verkneifen, ihr Mißfallen über das Monument aus dunklem, blutigem Fleisch zu äußern.
»Soviel zum Abendessen, und das im Sommer!«
»In meinem Haus brennt immer ein Feuer im Kamin, auch im Sommer.«
Teresa lachte auf wie eine zweitklassige US-Schauspielerin, spezialisiert auf die Rolle einer lustlosen Barschwalbe, die von Tresen zu Tresen zieht und auf den achten Tag der Woche wartet.
»Willst du dir meinen Kamin ansehen?«
»Du bist ja ganz phantasievoll, was das Essen angeht, aber nicht, wenn du flirten willst. Was du da eben gesagt hast, ist nur eine Abwandlung des berühmten ›Kommst du noch auf ein Glas mit nach oben?‹.«
»Ich habe noch eine Flasche Mineralwasser, die wir öffnen könnten!«
»Ich trinke lieber Whisky. Enttäusch mich ja nicht! Chivas?«
»Okay.«
»Alles klar.«
Während sie die Straße nach Vallvidrera hinauffuhren, summte Teresa
Penny Lane
vor sich hin.
»Wenn du ein Gourmet sein willst, mußt du anders reden.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Alle ernsthaften Gourmets, die ich kenne, sprechen mit französischem Akzent, auch wenn sie echte Spanier sind. Du verwendest nicht die richtigen Adjektive. Ein
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