Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
Carvalho Geld aus der Tasche, bezahlte und nahm Queta am Arm. Er schob sie zum Parkplatz gegenüber dem Kino
Coliseum
. Der Parkwächter schaute sich beunruhigt nach der weinenden Frau um. Carvalho machte eine Geste männlicher Ohnmacht angesichts des zerbrechlichen Innenlebens der Frauen.
Carvalho fuhr auf die Gran Vía und dann zur Küstenautobahn. Queta schien sich beruhigt zu haben. Ihr Atem ging regelmäßig, und sie tat, als betrachte sie aufmerksam die Landschaft. Als sie Masnou erreicht hatten und das Meer im goldenen Licht des Abends vor ihnen lag, wandte sich Queta beunruhigt an Carvalho.
»Wohin bringen Sie mich?«
»Nach Caldetas!«
»Nein, ich will nicht!«
»Vielleicht ist es nicht nötig.«
»Ich will nicht! Eher springe ich aus dem Auto! Sie haben kein Recht dazu!«
»Vielleicht ist es gar nicht nötig. Ich weiß sowieso fast alles, was geschehen ist. Aber ein paar Sachen fehlen mir noch.«
Queta sah auf die Straße, als würde sie bei jedem Kilometer etwas verlieren.
»Wie haben Sie Julio kennengelernt?«
»Welchen Julio?«
»Den von dem Zettel. Auf dem Zettel stand sein voller Name, und Sie wußten, wer gemeint war.«
»Daß er Julio hieß, erfuhr ich erst, als Sie es Ramón sagten.«
»Wie haben Sie ihn kennengelernt?«
»Warum ist das jetzt noch wichtig? Warum interessiert Sie das? Bitte, ich will nicht in dieses Haus. Bitte!«
»Wir gehen jetzt ein wenig spazieren, und Sie erzählen mir alles.«
»Ich lernte ihn in einem Kino kennen. Ramón geht nicht gerne ins Kino. Ich gehe manchmal abends in ein Kino im Viertel, wenn im Geschäft nicht mehr viel los ist.«
»Ist es lange her?«
»Etwas über ein Jahr. Anderthalb. Ich weiß nicht, warum ich diese Dummheit gemacht habe. Gott hat uns dafür bestraft. Alle.«
»Welchen Namen nannte er Ihnen?«
»Alejandro.«
»Und dann begannen Sie, sich in der Villa in Caldetas zu treffen?«
»Nein, am Anfang brachte er mich in Häuser, die er kannte.«
»Was für Häuser?«
»Solche Häuser eben.«
»Stundenhotels?«
Sie gab keine Antwort. Gedankenverloren betrachtete sie ihren eigenen Schoß.
»Haben Sie sich nicht gewundert, daß er Sie nie in seine eigene Wohnung mitnahm?«
»Seine Wirtin wollte es nicht. Das sagte er mir. Dann fingen wir an, in die Villa zu gehen. Er sagte mir, sie gehörte einem Neffen von ihm.«
»Sah er so aus, als ob er Neffen mit so einer Villa hätte?«
»Er war sehr fein, sehr gebildet. Sehr höflich.«
»Wußte Ihr Mann davon?«
»Nein.«
»Aber schließlich kam er dahinter?«
»Nein.«
»Warum gab er mir den Auftrag, eine Leiche zu identifizieren, die er schon mehr als genau kannte?«
»Er kannte seinen richtigen Namen nicht.«
»Also geben Sie zu, daß er von der Existenz Ihres Freundes wußte.«
»Nein. Nein, das habe ich nicht gesagt.«
Carvalho beugte sich zu Queta hinüber und schrie sie an: »Seien Sie doch nicht blöd! Die Polizei macht sich nicht soviel Mühe, die bringen Sie in weniger als einer Minute zum Singen!«
»Schreien Sie mich nicht an! Was fällt Ihnen überhaupt ein! Lassen Sie mich sofort raus!«
»Wann kam Ihr Mann dahinter?«
»Das weiß ich nicht.«
»Ich will wissen, wie er starb!«
»Er ist ertrunken.«
»Ist er nicht. Oder Ihr Mann hat dabei zugesehen, wie er ertrank. In der Zeitung stand nichts über den Zusammenhang zwischen dem Ertrunkenen und der Razzia. Aber Ihr Mann erzählte mir sofort davon.«
»Sie wissen doch, wie es in solchen Vierteln zugeht. Es gibt eine Menge Informanten. Ramón macht nicht immer saubere Geschäfte. Warum sollen wir uns etwas vormachen. Er hat Beziehungen.«
»So gut können die gar nicht sein, wenn er mich beauftragen muß, um die Identität eines Ertrunkenen herauszufinden oder zu bestätigen. Lügen Sie mich nicht an, oder ich bringe Sie auf die nächste Polizeiwache.«
»Na und? Ich hatte einen Freund oder ein Verhältnis, wie Sie wollen. Ramón weiß davon. Was soll mir also passieren?«
»Nicht alle ›Verhältnisse‹ werden unter so mysteriösen Umständen tot aufgefunden und verursachen dann noch einen derartigen Wirbel. Lassen Sie mich die fehlenden Teile der Geschichte ergänzen: Ramón kommt Ihnen auf die Schliche. Er bringt Ihren Liebhaber um und wirft ihn ins Meer. Als er erfährt, daß die Polizei den Fund der Leiche mit einem Ring von Rauschgifthändlern in Zusammenhang bringt, kompliziert sich für ihn der Fall und seine eigene Position. Er schaltet mich ein, ich soll die Sache untersuchen, falls es eine
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