Pepe Carvalho 01 - Carvalho und die taetowierte Leiche
Chanson?«
»Das geht nur mich etwas an. Die Fakten sind, wie ich es Ihnen sagte. Als ich aus Holland zurückkam, waren Sie bereits unterrichtet, daß die Polizei ausschließlich in der Drogenszene ermittelte. Sie standen nicht mehr in der Schußlinie, Sie waren aus dem Spiel,
amigo
, und mich brauchten Sie nicht mehr.«
»Nehmen Sie die hunderttausend, und gehen Sie!«
»Warum haben Sie ihn umgebracht?«
»Meinen Sie nicht, ich hatte Grund genug?«
»Sie sind kein Mann, der zu dramatischen Gefühlen neigt. Tatsächlich haben Sie ihn mit kalter Berechnung und hinreichender Verstärkung umgebracht.«
»Sind Sie sicher, daß ich es war, der ihn umgebracht hat?«
»Wer denn sonst?«
»Diese Frau ist wirklich ein Stück Dreck.«
Señor Ramón war aufgebracht. Zornesröte übertönte seine bleichen Sommersprossen eines alten Tieres mit Pigmentstörungen. Er hatte sich erhoben und zitterte vor Wut.
»Sie hat mein ganzes Leben verändert. Wegen ihr ließ ich alles hinter mir. Glauben Sie, ich bin dazu geboren, dieses Geschäft zu führen, diese erbärmliche Bude? Diese Frau war die Maniküre meiner Frau, meiner richtigen Frau. Vor fünfzehn Jahren hatte ich noch die Kraft und den Schneid, um Ihnen und diesem Zuhälter die Fresse einzuschlagen. Wegen ihr ließ ich alles hinter mir, und es ging uns gut, bis er auftauchte. Sie ist weich wie Pudding. Ohne Rückgrat. Er sprach sie auf der Straße an und nahm sie mit, und sie dachte mit keinem Gedanken daran, was ich alles für sie geopfert habe, was ich alles verloren habe.«
Er setzte sich wieder, seine Wut und seine Kraft hatten ihn verlassen.
»Ich bin jetzt in einem Alter, in dem man Ruhe braucht. Meine richtige Frau erlebt ein harmonisches Alter im Kreis unserer Kinder und Enkel. In unserem Alter ist man empfindlich, man braucht Zuwendung, besondere Fürsorge, und ich brauche diese besondere Fürsorge mit jedem Tag mehr, verstehen Sie? Es ist das Alter der Harmonie.«
Er gestikulierte mit den Händen wie ein Pianist.
»Vielleicht hätte ich es nicht getan, wenn ich das alles nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, verstehen Sie? Ich ging mit meinen Freunden dorthin, um ihm eine Tracht Prügel zu verpassen und ihr einen ordentlichen Schreck einzujagen. Diese Frau ist wirklich ein Stück Dreck! Das kann ich Ihnen sagen! Sobald sie uns hereinkommen sah, warf sie sich auf den Boden, kroch auf mich zu und wollte meine Hände küssen, und sie war nackt. Ganz nackt. ›Der Kerl da bedeutet mir gar nichts, Ramón! Mein Leben! Dir verdanke ich alles!‹ Währenddessen waren die anderen dabei, ihn gründlich fertigzumachen, bis er bewußtlos war.«
Señor Ramón lehnte sich zurück in seinem drehbaren Sessel mit dem Lächeln einer unerwarteten Enthüllung.
»Und wissen Sie, was dann geschah?«
Er wartete Carvalhos Antwort nicht ab.
»Sie wollte mich küssen und kümmerte sich einen Dreck darum, was mit ihrem Galan passierte. ›Ramón, mein Leben! Er bedeutet mir gar nichts! Nur du allein bist für mich wichtig!‹«
Er musterte Carvalho wie ein Spieler, der sich seiner Karten sicher ist.
»Ich gab ihr nur die Bronzestatuette, die auf der Kommode stand.«
Carvalho blinzelte nervös, die Szene imprägnierte seine Netzhaut mit Blut.
»Ich gab sie ihr einfach, und sie wußte sofort, was sie zu tun hatte.«
Carvalho wandte seinen Blick von Don Ramóns Gesicht, um an irgendeinem Punkt des Zimmers Halt zu finden.
»Sein Gesicht war nur noch Hackfleisch. Sie hat mindestens hundertmal mit der Statue zugeschlagen. Als wir sie von ihm trennten, war kein Winkel des Gesichts mehr zu erkennen.«
Carvalho war müde. Er merkte es an der Dankbarkeit, die er gegenüber dem Stuhl empfand, und wie angenehm ihm der vertrauliche Ton war, zu dem Señor Ramón überging.
»Alles übrige tat ich nur, um sie zu decken. Ich beauftragte Sie mit dem Fall, als ich, wie Sie richtig feststellten, sah, daß die Sache die Wendung nahm, die sie genommen hat. Schauen Sie!«
Er griff wieder in die Schublade und nahm zwei Flugtikkets heraus.
»Wenn Ihre Nachforschungen etwas Alarmierendes ergeben hätten oder die Polizei hier aufgetaucht wäre – das kleinste Indiz, und wir wären sehr weit weggefahren. Alle beide. Sie auch.«
Er zeigte ihm Quetas Namen auf einem der Tickets.
»Was böse anfängt, nimmt auch ein böses Ende, Señor Carvalho. Eine große Wahrheit. Aber ich habe, wir haben immer noch eine Hoffnung.«
Er hielt ihm den Umschlag mit dem Geld hin.
»Wenn alles unter uns
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