Per Anhalter (German Edition)
sich mit dem Handrücken das Blut aus der Visage. Da hörte David plötzlich die Stimme von Mario. Es musste die Stimme von Mario sein. Es war höchste Zeit. Er sprang auf Lasse zu, umklammerte seinen Hals und stieß ihn zu Boden, was nicht gerade einfach war. Er stellte ihm ein Bein, und da plumpste er auch schon hin.
Er ging zu Boden wie ein Sack und der ganze Wohnwagen erbebte. David sprang mit den Knien auf seinen Bauch, wobei Lasse ihm den Ellenbogen in die Rippen stieß. Ein gleißender Schmerz stieg in ihm auf. Es gelang ihm, Lasse am Saum seines Mainzelmännchen-T-Shirts zu packen. Das Geräusch von zerreißendem Stoff ertönte. Lasse schürzte die Lippen, bleckte die Zähne. Doch er konnte sich jetzt nicht mehr wehren. Jetzt nicht mehr. Denn als David erneut Marios Stimme hörte, drosch er blindwütig mit den Fäusten auf Lasses Gesicht ein. Einfach drauf. Immer und immer wieder. Vielleicht waren es zehn, fünfzehn Hiebe, vielleicht auch mehr. Er war in einer regelrechten Ekstase, während Lasses Gesichtsausdruck sich nach und nach von wütend in unendlich hilflos verwandelte.
„WICHSER!“ schrie David.
Dann ließ er von ihm ab. Lasse war noch immer nicht bewusstlos. Seine Augen drehten sich und die Zunge hing träge aus seinem Mund. Überall war Blut – überall!
David sprang auf. Eine Gänsehaut überkam ihn. Er rechnete jeden Augenblick damit, dass Mario und Britta um die Ecke geschissen kamen. Trotzdem, ein Mal musste er einfach noch. Nur noch ein Mal .
Und er holte mit dem Fuß aus und trat dem Fettklops mit so enormer Wucht ins Gesicht, dass er endgültig zusammenbrach. Das würde Schmerzen im Fuß geben, gar keine Frage, aber das war es allemal wert.
Die immer noch kreischende Sonja robbte verzweifelt auf die Wohnwagentür zu. David, der nach wie vor von dieser unheilvollen Gänsehaut geschüttelt wurde, sah sie, und trat auch sie. Und zwar von hinten, voll in den Arsch. Sie heulte auf. Er packte sie an den Schultern und schleuderte sie zur Seite.
Er hatte das Gefühl, wahnsinnig zu sein, oder auf Droge oder auf sonst irgendeiner beschissenen Wolke.
Raus hier! Raus hier! Er sprang auf den Küchentisch zu, hob das Baby an und nahm es auf den Arm.
Raushierraushierraushier! Nichts wie weg.
Er sprang auf die Eingangstür zu. Und er wusste es, er hatte es gewusst – Es war wieder zu spät. Britta stand bereits da. Er schloss die Augen und stolperte aus dem Wohnwagen heraus. Dass tatsächlich niemand in der Tür stand, bemerkte David erst, als er schon draußen war. So weit war es also schon mit ihm gekommen. Jetzt hatte er Halluzinationen, und was kam als nächstes? War das wirklich wahr? Berührten seine nackten Füße gerade wirklich Gras?
Wo soll ich hin? , fragte er sich. Das Baby auf seinem Arm roch weich und angenehm, wie frisch gepudert. Die dünnen blonden Haare auf seinem Köpfchen kitzelten Davids Nase. Er schaute um sich. Nein, da war niemand. Er war frei, verdammt. Frei! Und das einfach so. Er roch die Natur, den Geruch von sengender Hitze und Gras. Wieder schaute er um sich. Da war keiner. Er rannte und betrachtete das Baby dabei. Es wirkte verängstigt und müde.
„Keine Angst“, gluckste er, „Es wird alles gut.“ Eine Träne floss über seine Wange. Unendliche Freude und panische Angst lösten einander in seinem Inneren ab. Es würde alles gut werden. Er hatte sich aus eigener Kraft befreit. Alles würde gut werden. Er glaubte es tatsächlich. Ja, für einen Augenblick war er sich sicher, es würde alles gut werden... Für einen Augenblick war er sich wirklich sicher.
***
Ein dunkler Audi A6 hielt vor der kleinen Gemeinschaftspraxis von Dr. Voss und Dr. Neblin. Der Fahrer stieg nicht etwa aus dem Auto, er fiel heraus. Er versuchte, sich am Auto hoch zu ziehen und auf die Beine zu kommen, doch es gelang ihm nicht. Also kroch er auf allen Vieren dahin und schleppte sich zum Eingang. Ein junges Paar mit einem Kinderwagen ging an ihm vorüber, doch sie hatten nichts als mitleidige, entsetzte Blicke für ihn übrig.
Nicht einmal die Tür hielten sie ihm auf.
Er übergab sich Blut hustend im Korridor vor der zweiten Tür, die zum Rezeptionstresen führte. An jener Tür gelang es ihm doch noch, sich auf die Beine zu bringen. Er stolperte durch die Schwingtüren und klatschte auf den Boden.
Niemand saß hinterm Tresen.
Er versuchte, um Hilfe zu rufen, übergab sich stattdessen erneut. Er hatte bereits hinterm Steuer zweimal gekotzt. Auf dem Weg
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