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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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Punkt jedoch nicht festlegen. Dafür lag alles schon viel zu weit zurück. Am Nachmittag dieses Tages, fanden zwei aufmerksame Streifenpolizisten Davids Fahrrad im Straßengraben kurz vor der Autobahn 7. Sie suchten erneut die Wohnung der Familie Gimm auf, wo sie nun auch Davids Computer beschlagnahmten. Es galt herauszufinden, mit wem David zuletzt Kontakt hatte. Mareike Gimm erlitt beim Besuch der Polizei einen Nervenzusammenbruch. Sie hatte es letztlich doch fertiggebracht, sich krank zu melden, hatte ihrem Chef sogar die Gründe dargelegt, doch er forderte trotzdem ein Attest und zwar bis spätestens zum nächsten Tag. Kein Wort des Mitleids, keinen Funken Verständnis. Er hatte den Hörer draufgeknallt und fertig. Wie immer eben. Ihr Vater war lange bei ihr geblieben und es hatte eine künstlich friedfertige Stimmung geherrscht, dem ein erstickender Beigeschmack anhaftete. Als am späten Nachmittag die Sache mit Davids Fahrrad bekannt wurde, rief sie ihn erneut an. Sie flehte geradezu um Hilfe, bettelte darum, dass ihre Eltern sich um Nadja kümmerten. Nur ein oder zwei Tage, nur, damit sie dieses grenzenlose Elend und die Verzweiflung ihrer Mutter nicht mit ansehen musste. Ihr Vater kam sofort.
    „Und du kommst auch mit“, forderte er sie auf. Sie lehnte ab, doch er blieb hart.
    „Du kommst auch mit. Ich lass dich in dem Zustand nicht hier alleine. Und wenn du nicht mitkommst, dann bleibe ich hier.“  Und so hatte sie für sich und ihre Tochter Sachen gepackt und war nach Hause zurück gegangen. In den Schoß der Eltern, der trotz aller Verdrießlichkeiten der letzten Jahre noch immer Wärme und Geborgenheit spendete. Es war wie ein Urlaub und es fühlte sich richtig an. Ja, am Abend hatte sie wieder jene Gewissheit: Was auch kommt, hier bin ich sicher. Mama und Papa kümmern sich. Und ja, sie machte sich damit wieder einmal abhängig, besonders von ihrem Vater.
    Aber es war richtig. Jetzt ja. Jetzt war es richtig.
    Wenigstens heute.
    Sie konnte sich mit ihrem Hintern ins Sofa drücken und auf den Fernseher starren, ohne ständig krampfartiges Ziehen im Magen zu spüren. Hier war sie nicht ganz alleine. Hier hatte sie Hoffnung. Hier würde sie vielleicht schlafen können. Vielleicht. Hier war ihr klar, dass nicht alles verloren sein musste.
    Mama und Papa sind da. Wie früher. Die Tagesschau fängt gleich an. Mama und Papa trinken ihren Tee. Wie immer. Nadja hat Gummibärchen und eine Dose Fanta. Sie hat Urlaub. Ein bisschen. So wie ich. Es wird alles gut. Und wenn das alles vorbei ist, und alles wieder normal ist... Wenn dem wirklich jemals wieder so sein sollte... Ich werde alles anders machen. Alles genießen. Die Tagesschau fängt an. Wie jeden Abend. Es wird alles gut... Es wird alles wieder gut .
     
    Im Wald von Mohrbüll wurde gegen Abend die große Schatzsuche wieder eingestellt. Die Teilnehmer veröffentlichten ihre Erkenntnisse und Mutmaßungen in diversen Internetforen. Die Palette an geballtem Schwachsinn reichte von außerirdischen Wesen über Untote, bis hin zu Vampiren, Satanisten und Sektengruppen.
    „Typisch für Scientologen“ munkelten die einen, andere glaubten eher an ausgebückste Klinik- oder Gefängnisinsassen. Selbst mehr oder weniger bekannte Romanciers reisten an. Sie nahmen sich vor Ort ein Zimmer und ließen sich direkt an der Quelle des Grauens von der Muße küssen. Einer von ihnen schrieb auf seiner Homepage: Ich habe mich in diesen Wald gestellt, exakt an jene Stelle, an der das Grauen sein Zuhause hatte. Dort atmete ich tief ein. Erklären Sie mich gerne für verrückt, doch ich habe die Aura des Teufels durch meine Lungen wandern gespürt. Ein beißendes, bald brennendes Gefühl des Wahnsinns, dass sich über meine Lungen ins Blut und von dort bis ins Herz und das Gehirn vorarbeitete. Ich fühlte mich wie besessen. Ich spürte die Niederkunft von etwas Fremdem in mir. Wie gesagt: Sie dürfen mich gern als Wahnsinnig bezeichnen, aber ich schwöre, ich habe es gespürt.
    Wer weiß, vielleicht war etwas Wahres dran an seiner okkulten Darstellung. Vielleicht hatte er aber auch einfach nur Pech, denn noch am gleichen Abend verunglückte jener Romancier mit seinem Motorrad auf dem Weg nach Flensburg tödlich. Wahrscheinlich war es eher irdisch, genau wie die 1,8 Promille Alkohol, die man in seinem Blut nachweisen konnte. Der blutüberströmte Mann aus der Arztpraxis nahe Schleswig war inzwischen auch schon Polizeibekannt. Allerdings war er bislang nicht vernehmungsfähig.

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