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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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befand, flammten bestialische Schmerzen auf. Doch er konnte es nicht lassen. Er sollte in dieser Nacht keinen Schlaf kriegen, solange dieses Stück Fleisch nicht aus seinem Mund draußen war.
    Ständig umspielte er es mit seiner Zunge, und selbst dabei entstand dieser indezente Druck auf seinem Zahnfleisch, der alles je da gewesene in den Schatten stellte (aus heutiger Sicht absolut lächerlich!).
    Bald blutete sein Zahnfleisch. Er hatte es geschafft, es so stark mit dem spitzen Ende des Zahnseidesticks zu demontieren, dass es gleich an beiden Seiten aufgerissen war.
    Und irgendwann… Irgendwann sah er das Stück Fleisch neckisch aus dem Zwischenraum hervor lugen.
    Und er hatte es…
    Er hatte es…
    Er hatte es nicht!
    Es verkroch sich. Im Zahnzwischenraum, unter dem Zahnfleisch, in der blutigen Speichelsuppe.
    Eine geschlagene Dreiviertelstunde hatte er wie ein armer Irrer damit zugebracht, dieses eine kleine Stück Fleisch aus seinem Mund zu holen, wohlwissend, dass er dafür leiden musste. Und so war es jetzt auch. Er würde bluten wie ein Schwein beim Kopfschlachter. Er würde sein Fleisch sehen können und er würde von Würgreizen überfallen werden, wenn er das Ding in den Händen hielt und sich vorstellte, wie es auf seine Nerven gedrückt hatte, aber er würde auf gar keinen Fall aufhören, es aus sich heraus zu ziehen.
    Dieses Mal würde er nicht aufgeben.
    Und endlich – endlich ragte die sich ausdehnende Scherbe bis zur Hälfte aus seinem Fuß heraus. Er zog ein bisschen heftiger.
    Der Grat der Schmerzen war schon längst in keinem erträglichen Rahmen mehr, und  doch zog er weiter… und weiter… Widerhaken! Ich hab doch gleich gesagt, dass das Ding Widerhaken hat , dachte er, und die Tränen flossen über seine Wangen, wo sie eine Bahn im Staub hinterließen, der sich darauf befand.
    Mehr als die Hälfte des gezackten Glassplitters war draußen.
    Es war eine wirklich unfassbar große Scherbe. Man stelle sich eine Seltersflasche vor. In etwa die Hälfte des Flaschenbodens, so groß war sie.
    Es schien gar kein Ende mehr zu nehmen. Nur noch einen Zentimeter. David wusste nicht, ob er bei dieser Aktion geschrien oder sonst irgendeinen Laut von sich gegeben hatte, doch es hätte ihn offen gesagt gewundert, wenn dem nicht so wäre.
     
    Die Scherbe fiel zu Boden.
    Die klaffende Wunde verschloss sich.
    Sie erinnerte ihn an eine Vagina bei der Geburt. Erst war sie weit gedehnt, um den Säugling heraus zu pressen, dann zog sie sich wieder zusammen. Nur ein winziges Loch blieb zurück. Und aus diesem Loch suppte unentwegt das Blut heraus.
    Drumherum befand sich ein schwarzer Kreis, wie von abgestorbenem Gewebe. Es war ihm scheißegal . Noch nie zuvor war ihm etwas so egal wie das hier.
    Diese verflixte Scherbe war draußen, lag in der blutroten Soße vor ihm auf dem Boden. Bis in alle Ewigkeit, oder bis der nächste Läufer hier vorbeikam und sie sich in den Fuß trat, was ausgesprochen unwahrscheinlich erschien… Wobei… Es war schon seltsam, dass hier in diesem Niemandsland überhaupt Müll herum lag. Damit konnte doch kein Mensch rechnen. Wer mochte sich je vor ihm hierhin verirrt haben?
    Keine Zeit darüber nachzudenken.
    Er stand auf und machte den Test. Die Schmerzen waren weg. Die Wunde würde nun komplett verdrecken, darüber war er sich im Klaren. Doch das spielte eine vollkommen untergeordnete Rolle.
     
    Er packte das Mädchen und hob es an.
    Seine Händchen strichen über sein mit Schweiß und Tränen überlaufenes Gesicht, dann legte er den Kopf der Kleinen auf seine Schulter, atmete tief ein und aus, und setzte sich wieder in Bewegung. Noch ein prüfender Blick über die Schulter, dann nach rechts und links. Noch immer das gleiche Bild: Keiner da.
     
    Und wenn nächstes Mal etwas raschelt , schwor er sich ein, dann ist es ein Vogel. Es ist nur ein Vogel…
     
    ***
     
    Nur langsam kam Lasse wieder zu sich. Er sah das Gesicht von Sonja über sich und stieß sie zur Seite. Alles kam ihm wie ein Traum vor. Er blutete aus der Nase und sein Kopf tat höllisch weh.
    „Geht gut?“ fragte Sonja und legte ihre knittrige, trockene Hand auf seine Schulter.
     „Boah, verpiss dich Sonja“ stöhnte er, packte sie am Arm und stand auf.
    Mama und Papa waren noch nicht zurück. Und David war abgehauen.
    Mit Vivi. So ein Arschloch!
    Darum würde sich Papa schon kümmern. David war nicht der Erste den Papa zur Strecke brachte. Aber David war der Erste, der es wagte, ihn zu schlagen. Und dafür würde er

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