Per Anhalter (German Edition)
die Schutz und Geborgenheit suchen und genau diese Dinge bei einem finden. Das ist wunderschön . David wollte nie Kinder haben. Er fand Kinder doof und nervig. Nicht einmal ihrer vermeintlichen Putzigkeit hatte er je etwas abgewinnen können. Erst jetzt begriff er, wie wunderbar Kinder waren.
Ich habe es geschafft, dass das Baby zu weinen aufhört . Das fühlt sich so unglaublich gut an .
„Ich bin bei dir. Alles wird gut, Kleine. Alles wird gut“, flüsterte er und drückte es voller Zärtlichkeit an sich. Dann stand er auf, wobei er es weiterhin in seinen Armen wiegte.
Der furchtbare Schmerz kehrte durch das Auftreten mit dem Fuß zurück und er entschied sich, erst einmal auf einem Bein zu hinken, um die Wunde nicht noch mehr zu verdrecken und den Schmerz zu vermeiden, der beim Auftreten entstand.
Das war vom Ansatz her gar keine so schlechte Idee, doch wenn es hart auf hart kam, war er auf die Art bestimmt nicht sonderlich schnell unterwegs. Warum konnte nicht einfach mal wieder etwas richtig gut laufen? Und warum musste er ausgerechnet in diesem Augenblick einen sentimentalen Anfall bekommen... Er dachte zuerst an seine Mutter und an seine Schwester und fühlte sich ihnen gegenüber unglaublich schuldig. Besonders seiner Mutter gegenüber. Einst hatte sie ihn so im Arm, wie er jetzt das Baby im Arm hatte. Sie liebte ihn abgöttisch. Und er sie auch. Er wollte seiner Mutter nicht weh tun. Wenn er ihr doch wenigstens sagen könnte, dass er am Leben war. Wenn er ihr nur wenigstens ein Stück ihrer Angst nehmen könnte. Und nun dachte er auch noch an Lena. Und er fragte sich, was sie wohl gerade machte. Ob sie sich um ihn sorgte? Ob sie ihn jetzt hassen würde? Warum bin ich bloß in dieses Scheißauto gestiegen? Immer wieder kam er auf diese eine Frage zurück. Was wäre wenn... Wenn ich nur etwas mehr Geduld gehabt hätte. Wenn ich mich um eine neue Ausbildung gekümmert hätte. Vielleicht wäre Mama dann bereit gewesen, mir das Ticket nach Flensburg zu bezahlen... Vielleicht wäre sie sogar dazu bereit gewesen, wenn ich an diesem Abend nicht so patzig gewesen wäre. Oh Mann, ich bin ein solcher Idiot!
Auf einem Bein hinkend bahnte er sich seinen Weg. Er sah, dass auf dem Boden noch allerhand weiterer Müll herum lag. Alte Flachmänner und Toastbrotverpackungen, die verblichenen Überreste eines Nesquik Trinkpacks und ausgefranste Zeitungsblätter. Wer um alles in der Welt war jemals hier im Gebüsch gewesen?
Man konnte fast den Eindruck gewinnen, hier habe einmal jemand gecampt. Wirklich ein klasse Ort dafür.
Verstohlen blickte er zwischen die Tannen hindurch. So wie´s aussah, war die Luft noch immer rein.
Das Baby weinte nicht mehr, doch es gab eigenartige Geräusche von sich, die David nicht zu deuten vermochte. Möglicherweise drückte er es zu fest, oder aber es fühlte gar richtig wohl.
Ich darf nicht nachdenken. Man macht instinktiv sowieso das Richtige wenn man in Not ist. Irgendwann hatte er diese Weisheit mal aufgeschnappt. Und siehe da – sie stimmte!
Das Baby lag ganz ruhig in seinen Armen und spielte mit seinen kleinen an seinen Brustwarzen.
Da er es sich nicht erlauben konnte, noch mehr Zeit mit Rumstehen zu verdödeln, setzte er sich wieder in Bewegung.
Aber stimmte die Richtung jetzt auch?
Moment mal , dachte er und hielt inne. Lauf ich jetzt wieder in die Richtung zurück, aus der ich gekommen bin? Fatalerweise sah hier alles gleich aus. Sein einziger Orientierungspunkt war der Baumstumpf, auf den er sich gesetzt hatte. Von welcher Seite aus bin ich denn da hin gekommen? Wieder ließ er den Blick in alle Himmelsrichtungen schweifen… und wieder fiel er in den Würgegriff der Panik zurück, in dessen Klauen man zu nichts mehr fähig war. „ Fuck “, stöhnte er. „ Oh Fuck! “
Seine Orientierung war jetzt ganz weg. Er hatte keinen Plan, aus welcher Richtung er gekommen war. Ich dreh ab! Ich flipp aus! Dann schrie er entsetzt auf. Dabei war nur ein Vogel von einem der Bäume los geflogen.
Es war nur ein Vogel. Es ist alles gut. Nur ein Vogel... Ein beschissener Vogel, weiter nichts .
Was fiel diesem Vieh ein, ihn so zu erschrecken?! Sein Herz schlug wieder bis zum Hals.
Ich komm hier nie mehr raus , dachte er, nie mehr .
Aus seinem Fuß suppten zähe Blutsklumpen heraus. Er sah es und ihm wurde jetzt auch noch speiübel. Er versuchte krampfhaft, irgendwie wieder zu Besinnung zu gelangen.
Aber da war zu viel, viel zu viel, was ihn aufrieb und ihn daran hinderte.
Der
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