Per Anhalter (German Edition)
trotz erbärmlichen Schreien und Weinen des Mädchens nicht damit aufhörte. Als es ihr langweilig wurde ging sie einfach nach Hause und ließ das Mädchen liegen. Sie hatte ihr zahlreiche Rippen geprellt, den rechten Arm gebrochen und ihr eine Gehirnerschütterung beigefügt. Von psychischen Schäden gar nicht erst zu sprechen. Ihr ehemaliger Vermieter (der genauso wenig wie irgendjemand sonst auf der Welt wusste, was aus der Frau geworden war) hatte sie vor Jahren angezeigt, weil er in der grünen Tonne stapelweise Tagebucheinträge aus Collegeblöcken und Chinakladden von ihr gefunden hatte, in welchen sie detailliert ihre sonderbaren Mordfantasien beschrieb. Pikant: Es ging hauptsächlich um den Sohn seiner Tochter, der damals noch ein Kleinkind war. Ich möchte dieses Kind an den Beinen packen und vor Anna Küchenthals Augen höchstpersönlich gegen einen Baum dreschen. Danach kann sie das verfickte Mistgör wie Brei auflöffeln.
Oder: Ich würde der kleinen Mistbacke liebend gern den kleinen Schniedel abschlecken! Auf seiner Beerdigung!! Ich öffne vor versammelter Mannschaft den Sarg und blase ihm einen. Hoffentlich krepiert dieses hässliche Häufchen trostlos und qualvoll vor den Augen von Mama, Papa, Oma und Opa, damit das passieren kann. Vielleicht unter meinen Reifen...
Sie hatte sogar heimliche Fotos von dem Kleinen gemacht, wenn er auf seinem Dreirad durch den Garten fuhr oder seiner Mama zeigte, wie toll er schon auf dem Trampolin hüpfen konnte, diese mit roten und schwarzen Finelinerstiften bearbeitet (und beispielsweise klaffende Löcher in den Kopf des Kindes gezeichnet oder Blutfontänen, die aus seinem Penis spritzten), und diese eingeklebt, so dass nicht einmal mehr der Hauch eines Zweifels bestand, dass sie genau diesem Kind den Tod wünschte.
Dennoch konnte ihr weder die Polizei noch der Vermieter einen Strick daraus drehen, weil Bennecke schlichtweg behauptete, sie hätte diese Dinge weder geschrieben noch gemalt. Wie sie in die grüne Tonne kämen sei ihr schleierhaft, da sie all ihre Dokumente, zumal wenn es solche wie diese wären, immer durch den Aktenvernichter jagte. Dem Kind war nie etwas zugestoßen… Dass die Luft aus den Reifen seines Kinderfahrrades nahezu täglich rausgelassen war, oder in regelmäßigen Abständen ganze Haufen toter Ohrkneifer (vor denen sich der kleine Nico besonders ekelte) in seinen Schühchen lagen, war natürlich auch nicht ihr Vergehen. Zumindest konnte ihr nie etwas nachgewiesen werden, und es reichte nicht einmal dazu, sie aus der Wohnung heraus zu klagen, die sich im Dachgeschoss eines alten Bauernhofes in der Nähe von Scharbeutz bei Lübeck befand. Nadine Bennecke wurde im Zusammenhang mit Diebstahl, Konsum und missbrauch verbotener Substanzen erwähnt. Dann gab es da noch die Geschichte mit den Säuglingstoden in der Uniklinik Kiel. Für die Ermittler der Kriminalpolizei war sie die Hauptverdächtig im Fall der mutmaßlichen Entführung des 16-Jährigen David aus Rendsburg, sowie Beteiligte im Polizistenmord nahe Flensburg. Speziell nach ihr wurde mit Hochdruck gefahndet. Über mögliche Komplizen gab es bislang kaum Anhaltspunkte. Der Förster Werner Steinbach war inzwischen ein weiteres Mal verhört worden und gab zu Protokoll, dass der Schütze ein circa. 35-40 Jahre alter, glatzköpfiger Mann von markanter Größe gewesen sei, und dass ein weiterer, circa 45-50 jähriger, geringfügig untersetzter Mann am gleichen Tag zugegen war. Diese Personen spielten jedoch im Zusammenhang mit Kindesentführungen bisher keine Rolle.
Doch allmählich war der Fall in der Bevölkerung in aller Munde. Ein Ehepaar aus Kiel hatte den Jungen am Straßenrand bemerkt und zunächst überlegt, ihn mitzunehmen. Es konnte detaillierte Angaben zu seiner Kleidung machen und merkte an, der Junge habe „sehr unglücklich“ ausgesehen. Die Polizei veranlasste in der Zwischenzeit über die Landesgrenzen Schleswig-Holsteins und Dänemark hinaus verschärfte Kontrollen von Fahrzeugen mit Wohnwagengespannen. Ohne Erfolg! Und wie sich alsbald herausstellte, waren diese Kontrollen auch nicht mehr nötig. Wolfgang Schlesinger, der ehemalige Anwalt, erwachte aus dem Koma. Er konnte sich überraschend gut an das erinnern, was geschehen war und berichtete der Polizei von seinem unfassbaren Erlebnis. Noch in derselben Stunde schickte man ein sechs Streifenwagen umfassendes Aufgebot in die ehemalige Kleingartenkolonie. Vergebens. Zwar fand man die beiden Wohnwagen, doch die
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