Per Anhalter (German Edition)
ging. Sie würde einfach auf Arbeit aufschlagen und „So, da bin ich wieder“ sagen. „Die Frühschicht kann Feierabend machen und die Spätschicht zu Hause bleiben. Alles gut! Ich bin wieder da, Leute!“ So würde sie es machen. Ohne vorher anzurufen. Alles andere würde schon seinen Gang gehen. Vielleicht fanden sie David und brachten ihn nach Hause, vielleicht auch nicht. Vielleicht war David auch etwas zugestoßen und sie überbrachten ihr später die Nachricht, aber wenn, dann konnte sie es auch nicht ändern. Und daran denken wollte sie nicht. Jetzt nicht, später nicht, gar nicht mehr. Sie wollte nur arbeiten.
Arbeiten, arbeiten, arbeiten... Und an nichts anderes mehr denken!
***
David zitterte am ganzen Leib. Schweiß lief über sein Gesicht. Sein Schädel dröhnte und ihm war kotzübel.
Er hatte Fieber bekommen. Zumindest fühlten sich die Symptome so an. Fieber… aber vielleicht war es auch blanker Wahnsinn, er war sich da selbst nicht so sicher.
Er lag vollkommen apathisch in Embryonalstellung auf dem Fußboden. Er haderte nicht mit seinem Schicksal. Er war auch nicht glücklich darüber… Er litt !!! Und er litt nicht auf die Art, wie Männer manchmal leiden, wenn sie einen Schnupfen haben, sondern er litt die schlimmsten und intensivsten Schmerzen, die ein Mensch ertragen kann. Höllenqualen in zwei Beinen, die gar nicht mehr da waren, die vielleicht längst verrotteten. Grauenvolle Schmerzen in einem Körper, der nicht mehr ihm zu gehören schien. Die pervers intensive Gewissheit, etwas tun zu müssen, um zu überleben, jedoch nicht einmal mehr die Kraft oder die Möglichkeit dazu zu haben um wegzulaufen. Hin und wieder fiel er in einen tranceähnlichen Zustand, vielleicht auch Sekundenschlaf, aus dem er jedes Mal schreckhaft erwachte und bei dem ihm jedes Mal aufs Neue schmerzhaft bewusst wurde, dass er für den Rest seines Lebens (wie lange dies auch immer sein mochte) ein Krüppel bleiben würde.
Selbst wenn jetzt jemand käme um ihn aus dieser verfluchten Hütte zu retten, konnte man nicht einfach die Beine einsammeln und wieder dran nähen. Völlig ausgeschlossen. Den ganzen Umfang dieser abscheulichen Grausamkeit hatte er noch immer nicht ganz begriffen. Der Groschen fiel Pfennigweise wie es so schön heißt. Er würde nie wieder Fußball spielen können, nie arbeiten gehen… er würde im Rollstuhl sitzen und Frauen würden ihn mit dem Arsch nicht anschauen. Wer will schon einen Krüppel zum Mann? Bei dieser Gelegenheit fiel ihm Lena wieder ein und zum ersten Mal empfand er keine Traurigkeit, keine Liebe und keinen Gleichmut als er an sie dachte, sondern Wut.
Nur wegen ihr hatte er diese blöde Idee gehabt. Nein, es war nicht ihre Schuld, dass alles so gekommen war, natürlich nicht, aber wenn sie nicht gewesen wäre…
Irgendwann fand er schließlich doch den Antrieb, sich zumindest ein bisschen zu bewegen.
Es tat höllisch weh.
Aber da sich hier von selbst absolut gar nichts tat, musste er eben die Initiative ergreifen. Es führte ja doch zu nichts, wenn er hier liegen blieb. Versuchen muss ich es wenigstens , sagte er sich, und schleifte sich über den Fußboden bis zur Tür des Zimmers. Es dauerte fast eine Minute, obwohl die Tür nur wenige Schritte vom Bett entfernt war, neben dem er die ganze Zeit gelegen hatte. Ihm fehlte die Kraft, sich schneller zu bewegen. Noch immer materte ihn das ungute Gefühl, sie beobachteten ihn. Doch er betrachtete es mit Gleichgültigkeit.
Ihm war klar: Was immer sie mit mir vorhaben, ob sie jetzt zusehen oder nicht, kriegen werden sie mich so oder so. Zumindest wenn sie in der Nähe sind. Höchstwahrscheinlich ist die Tür sowieso abgeschlossen. So blöd, dass sie sie offen lassen, werden sie ja wohl nicht sein. Nicht einmal sie…
Völlig entkräftet blieb er vor der Tür liegen. Noch immer war nichts zu hören. Sein Blick fiel einmal mehr auf die mit Papier umhüllten Stümpfe. Es war einfach unfassbar. Warum haben sie mir nicht einfach den Kopf abgeschlagen oder die Därme aus dem Leib gerissen?
Die Antwort lag im Grunde genommen auf der Hand: Sie sind noch nicht fertig mit mir. Sie wollen nicht, dass ich sterbe. Und wenn, dann muss es zumindest qualvoll sein. Und langsam. Sie haben noch irgendwas vor.
Er erinnerte sich an das, was er gleich, nachdem er zu Britta ins Auto gestiegen war, empfunden hatte. Dieses Gefühl, er sollte besser abhauen, solange hierzu noch die Möglichkeit bestand. Instinktiv war ihm doch
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