Per Anhalter (German Edition)
Oder Kalli. Dann hätte ich hier zumindest nicht ganz allein hin gemusst.
Er brauchte jetzt erstmal noch fünf Minuten zum Nachdenken, und so zog er die Handbremse, legte den Leerlauf ein und öffnete die Tür. Den Motor hatte er ebenfalls abgestellt, aber auf das Licht wollte er besser nicht verzichten. Und so saß er nun da, spät am Abend, mitten im Wald mit einer Fluppe im Mund und mit tausend nervösen Fragen im Kopf. Von hier aus waren es vielleicht noch fünf Minuten Fahrt bis zur Hütte. Nach Hause aber brauche ich wieder ne Dreiviertelstunde. Das heißt, wenn ich es mir dann doch wieder anders überlege muss ich wieder ganz hier raus eiern. Und darauf habe ich auch keinen Nerv! Die einzigen Geräusche waren die von den Bäumen herab prasselnden Tropfen und irgendwo weit entfernt (möglicherweise auch nur eingebildet) das Geräusch von seicht ans Seeufer plätschernden Wellen Eigentlich war er noch viel zu weit vom See entfernt, als dass er sie hätte hören können. Aber in der Dunkelheit nimmt man ja nun mal auch bedeutend mehr wahr als im Hellen. Die Fantasie ist zweifelsohne aktiver denn je. Die Fantasie mit all ihren grässlichen Facetten, die Geräusche erzeugen konnte, ohne das wirklich welche da waren... Oder vielleicht doch? Was, wenn Mario von der Hütte weiß , fragte er sich, und wenn er gerade dort ist? Oder der andere Spasti. Uwe. Uwe - das sei an dieser Stelle erwähnt - war aus Lolles Sicht der einzige normale in dem eigenwilligen Trio, und er fand ihn ganz in Ordnung. Aber in Anbetracht der Umstände wollte er auch ihm nicht unbedingt begegnen. Und schon gar nicht hier draußen.
Wer weiß , dachte er, was die drei noch so für Dreck am Stecken haben . Ihm kam eine ganze Reihe von Dingen in den Sinn. Kinderpornografie zum Beispiel oder Experimente a la Frankenstein. Immerhin: mit irgendetwas Dubiosem musste das viele Geld ja in die Kasse kommen, über das sie zweifelsohne verfügten.
Eine ganze Weile saß er einfach nur so da und vergaß drüber hinaus sogar seine Zigarette, die somit einfach nur mit einem gigantischen Aschetrichter herunter brannte. Er fand sich inzwischen ziemlich bedauernswert. Diese Frau hatte ihn ganz schön aufs Kreuz gelegt.
Wenn ich wegen der jetzt irgendwelche Schwierigkeiten kriege... Himmel, wenn jemand diesen Jungen da in der Hütte findet... Dann bin ich total am Arsch! Aber was soll ICH machen wenn ICH ihn da finde? Soll ich ihn verbuddeln, oder was? Und wenn das rauskommt dann... Es war zum Verrücktwerden.
Warum war er nicht einfach einen ganz normalen Lebensweg gegangen, so wie Kalli zum Beispiel. Kalli hatte nach der Ausbildung zuerst seinen Meister gemacht und dann einen Namen. Sein Betrieb lief und er musste kaum noch selbst Hand anlegen.
Und ich hab meinen Meister gemacht und eine abgefuckte Kaschemme hochgezogen, wo sich die Mullas und die Russen tummeln. Echt toll!
Er musste sich immer Sorgen machen, irgendwann verraten oder erpresst zu werden. War alles schon vorgekommen. Kalli hingegen hatte ein ganz stinknormales Leben mit solidem Einkommen und vernünftiger Grundlage.
Ja, ein langweiliges Leben, das mochte sein, aber dafür konnte er jetzt gemütlich mit seiner Frau vor dem Fernseher sitzen und wusste dabei genau, wie der morgige Tag ablaufen würde. Er brauchte keine Angst davor zu haben, dass ihn die Bullen in Kürze aufsuchten und ihm an den Karren pissten, weil es gewisse Unstimmigkeiten in seinen Bilanzen gab, oder weil irgend so ein Negerarsch die große Petze spielen musste, und hoffte, dass wenn er erzählte wo die falschen Kennzeichen herkamen, eine mildere Strafe zu bekommen. Nein, Kalli brauchte auch nicht davon auszugehen, dass ihn jemand des Mordes oder auch nur der Beihilfe dazu bezichtigte, weil er nie mit zwielichtigen Gestalten Geschäfte machte. Und wenn doch, dann immer im gesetzestreuen Rahmen. Kalli führte seine Steuern ab, ernährte seine Familie und flog ein bis zweimal im Jahr in den Urlaub. Nie geschah etwas Außergewöhnliches und noch in zehn, zwanzig Jahren würde er auf die Frage, ob alles gut bei ihm sei, mit „Alles in deutscher Hand“ antworten. Kalli klagte nicht und hatte keine unerreichbaren Wertevorstellungen oder Ziele.
Und trotzdem sind wir seit Jahrzehnten gut befreundet , dachte er. Er weiß nicht alles über mich, aber genug. Und er hält sich trotzdem immer raus.
Wenn er ehrlich war, wäre er auch gerne wie Kalli. Ein ganz normaler Durchschnittsbürger. Unauffällig, langweilig,
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