Per Anhalter (German Edition)
Klebriges unter ihren Schuhsohlen. Wohlvertraute Geräusche.
Die Einkaufstüte knisterte. Dann stellte sie eine Flasche auf die Arbeitsplatte. Das papierene Rascheln war die Umverpackung einer Chipstüte. Der Kühlschrank ging auf. Und kurze Zeit später wieder zu.
Ihm schlug ein dumpfer Geruch von verbrauchter Luft entgegen. Er kam aus seinem Zimmer.
Seine Mutter räusperte sich in der Küche. Sie öffnete einen der Schränke, wahrscheinlich den neben der Tür zur Speisekammer. Das Knistern und Rascheln der Chipstüte… Nudeln (die hatten so einen ganz eigenen, fast hölzernen Klang), und rumms, die Schranktür ging wieder zu. Jetzt ging Nadja hinter ihm. Auch sie verschwand in der Küche. Mit einem Blick nach rechts, konnte er die Eingangstür erkennen. Jessica stand dort. Ein kleines, fast bis zur Dunkelhäutigkeit braungebranntes Mädchen mit tiefschwarzen Haaren. Sie hob schüchtern die Hand und deutete ein Grinsen an.
Mitleid? Vielleicht!
Entsetzen? Gut möglich!
In jedem Fall Unsicherheit. Ohne Ende!
Früher war sie manchmal zu ihm gekommen und hatte ihm einen Knuff gegen den Oberarm verpasst. Oder sie sagte irgendetwas Blödes wie, „Moin Devi-Pefi!“ oder so ähnlich. Jetzt stand sie nur da und sagte gar nichts. David formte das Friedenszeichen mit seinen Fingern und schenkte ihr ein kurzes Lächeln, dann schaute er wieder geradeaus in sein Zimmer.
„Mamaaa?“,
„Ja?“,
„Darf ich mit Jessica spielen?“,
„Ja, kannst du. Aber spielt bitte draußen, ja? Ich hab hier im Moment keinen Kopf frei.“,
„M-hm. Danke Mama!“
Wumm-wumm-wumm! Nadja rannte wieder an ihm vorbei und schaute ihn nicht einmal an.
Nein, es gab keine Girlanden, Luftballons, Konfetti… Es war eine Rückkehr nach Hause, für die er im besten Fall noch einen Arschvoll verdient hätte.
Im Grunde hätte er es nicht einmal mehr verdient, überhaupt hier zu sein. Zuhause.
Dort, an diesem PC, hatte alles angefangen. Dort hatte das Ende des Lebens, wie er es kannte, seinen Anfang genommen. Er schaute auf die Türschwelle hinunter.
Klack – es war das Feuerzeug seiner Mutter.
„Ja, hi, ich bin es. Naa. Ich wollt nur Bescheid sagen, wir sind jetzt zu Hause…“
Sie telefoniert mit Oma. Bestimmt! Entweder mit Oma oder mit Opa.
Im gleichen Moment fiel die Haustür ins Schloss. War das normal, dass er sich jetzt gerade einsam vorkam? Vermutlich!
Mit seinen Händen umklammerte er die Reifen des Rollstuhls. Beim ersten Mal schaffte er es nicht über die Schwelle. Er versuchte es mit etwas mehr Schwung, den er bekam, indem er zunächst rückwärts und dann vorwärts rollte. Und schwups war er drüber… In seinem Zimmer.
Das genauso gut das Zimmer eines Toten hätte sein können…
Alles sah noch genau so aus, wie an dem Tag, als er es verlassen hatte.
Früher, wenn er auf Klassenfahrten war beispielsweise, war es so gut wie jedes Mal so gewesen, dass seine Mutter irgendetwas in seinem Zimmer verändert hatte. Oder aber sie hatte aufgeräumt.
„Und in Zukunft möchte ich, dass du selbst ein bisschen mehr darauf achtest“ hatte sie dann gesagt. Damals…
Aber dieses damals hatte mit dem Hier und Jetzt so gut wie gar nichts mehr gemein. Dazwischen lagen Welten. Er kam sich deplatziert vor, und das in seinem eigenen Zimmer. Wie ein Fremder in den eigenen vier Wänden, wie ein Bettler im betuchten Kreis auserwählter Snobs, ein Störenfried im eigenen Revier.
So als hätten seine Mutter und seine kleine Schwester sein Territorium für sich beansprucht. Er hatte sich jetzt gefälligst an ihre Gepflogenheiten anzupassen, ja keine Forderungen zu stellen und sich zurückzunehmen. Es war keine Selbstverständlichkeit hier sein zu dürfen, nach allem, was er ihnen an Kummer gemacht hatte.
Er warf die Reisetasche, die er auf seinem Schoß abgelegt hatte, auf sein Bett.
Nicht einmal die alten Eisteepakete waren weggeräumt worden.
Eine Dose Nivea-Deo lag auf dem Fußboden, das Flakon Bruno Banani noch auf dem Bett. Und auch eine Jeanshose lag noch darauf. Eine Hose… Die er nie wieder brauchen würde. Zumindest nicht so wie sie da lag.
Er trug jetzt eine abgeschnittene Jeans, wo die Stumpen neckisch vorne heraus lugten. Kuckuck, Davilein, hier sind wir, deine beiden neuen Freunde!
Inzwischen hatte er sich mit seinem neuen Zustand arrangiert. Angefreundet wäre zu weit hergeholt. Arrangiert traf es besser. Er war nun schwerbehindert. Er würde eine Aufstehhilfe bekommen, vielleicht auch ein anderes
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