Per Anhalter (German Edition)
auch schon über 50, Christian, ein bisschen Menschenkenntnis hab ich auch. Und das obwohl ich viel in der Einsamkeit rum latsche. Ein bisschen was merk ich schon noch.“,
„Aber du interpretierst da zu viel rein, Werner. Wenn du unvoreingenommen wärst, würdest du dir gar nichts dabei denken. Jede Wette!“
Er hätte sich anstatt mit Christian genau so gut mit einer Wand oder einem Besen oder sonst was unterhalten können. Er kam eh nicht gegen seinen selbstverliebten Sturkopf an.
Christian war sich keiner Schuld bewusst.
Nach seinem Befinden hatte er alles völlig richtig gemacht.
Ändern konnte man es jetzt sowieso nicht mehr, oder?
„Weißt du, auch das mit den Kindern hier...“ fing Christian gerade an, als es ein merkwürdiges Geräusch gab. Eine Art Knall. So als ob ein Stein auf die Windschutzscheibe geprallt wäre.
„Was war das denn bitte?“ rief Werner erschrocken.
„Ein Steinschlag? mutmaßte Christian.
„Ich glaub, ich hab sogar was ins Gesicht bekommen. Kannst ma gucken?“ Christian drehte sein Gesicht in Werners Richtung. Dieser dachte zuerst dass der wehrte Herr Polizist spinnen würde, doch dann traf ihn der Schlag.
„Ach du Scheiße, du blutest.“,
„Echt?“ Christian betaste sein Gesicht.
„Hier oben?“,
„Überall! Halt an, Mensch.“, aber Christian gakelte einfach weiter, „Ich will mal wissen, was das war.“,
„Halt an!“ rief Werner. Die Formulierung „ du blutest“ war noch reichlich untertrieben. Jetzt betrachtete Christian sich im Rückspiegel und stoppte den Wagen.
Unfassbare Mengen Blut quollen aus einem Loch auf seiner Stirn heraus. Es rann in einer dicken roten Linie über die Nase.
Die Augenbrauen waren vollkommen rot verfärbt.
„Du Scheiße…“ sagte Christian. Er war völlig von der Rolle.
„Hast du Verbandszeug hinten?“ fragte Werner aufgeregt.
„Der muss ja voll durchge...“,
„Hallo? Verbandszeug. Halt den Kopf still.“
Bumms!
Es knallte wieder.
Diesmal kam es von hinten. Auf dem Dach schepperte etwas, das nach Metall klang.
„Was zum Henker ist das? Fällt da was von den Bäumen?“ meinte Chrisian verwirrt.
Werner wusste es nicht. Er konnte sich nichts darunter vorstellen.
Wieder ein Klirrgeräusch.
Das hintere rechte Seitenfenster zerbarst und der Geruch nach etwas angebranntem stieg den Männern in die Nase. Werner begriff. Die Antwort war so einleuchtend und gleichzeitig so realitätsfremd, dass er einfach nicht schneller drauf kommen konnte: „Du musst doch weiter fahren! Sofort! Da schießt jemand auf uns. Oder lass mich...“
Ein Zischen durchschnitt die Luft. Eine Kugel schlug direkt in die Mittelkonsole ein, hinterließ darin ein schwarzes Loch. Der Schalter für die Warnblinkanlage war gestreift worden. Man hörte das monotone Tick-Tuck-Tick-Tuck-Tick-Tuck-Tick des Blinkers.
„Fahr!“ schrie Werner außer sich. Christians Mund war zu einem großen O geformt.
Er war gerade dabei, die Dinge Stück für Stück zu registrieren.
Er wurde ganz steif und rührte sich nicht mehr.
Das Blut, anfangs noch dickflüssig, suppte nicht mehr aus dem Loch, es floss in Strömen . Sogar die Wimpern waren voller Blut und aus den Augenwinkeln rann es wie dicke Tränen herunter.
Das O verschwand aus Christians Gesicht.
Er sah nun aus, als würde er grinsen, während das Blut in seinen Mund floss und seine Zähne rot verfärbte.
„GIB GAS!“ brüllte Werner ihn an.
„Meinst du echt, die schießen?“ Christian war völlig konsterniert.
Dass er überhaupt noch lebte, grenzte an ein Wunder. Aus dem Augenwinkel heraus sah Werner einen Mann hinter einen Baum verschwinden.
Und der nächste Schuss fiel.
Da war er wieder zu sehen. Es war ein riesiger, muskelbepackter Glatzkopf.
Er wird auch zu diesen Leuten hier gehören , dachte Werner, die sind echt in Ordnung, was Christian? Man darf Menschen nie etwas unterstellen, nur weil sie komisch sind, oder? Super! Das haben wir jetzt davon .
Die nächste Kugel drang ins Auto ein. Sie flog nur etwa zwei Finger breit an seiner Nase vorbei. So dicht, dass er sie fühlen konnte. Sie schlug direkt neben dem Lenkrad ein, wodurch ein weiteres Loch entstand und Qualm aufstieg.
„Fahr schon!“ schrie er Christian an, der längst nicht mehr klar denken konnte.
Es gab den nächsten, einen immensen Knall.
Das Auto vibrierte.
In Werners Ohren begann es zu Fiepen, als hätte er zehn Minuten neben einem Presslufthammer gestanden und wäre hinterher in eine menschenleere
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