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Per Anhalter (German Edition)

Per Anhalter (German Edition)

Titel: Per Anhalter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oke Gaster
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ob er bleibende Schäden davon tragen würde oder nicht, sondern nur noch, wie viele Minuten er noch zu leben hatte.
     
    ***
     
    Als Werner aus dem Auto ausstieg, wallte eine längst vergessen geglaubte Erinnerung aus den Tagen seiner Kindheit in ihm auf. Sein Bruder und er hatten damals in genau diesem Wald häufig Räuber und Gendarm gespielt, und irgendwann hatte Herbert, sein Bruder, eine Steinschleuder gebaut. Vielleicht hatte er sie auch gefunden, das wusste Werner nicht mehr genau. Jedenfalls versteckte sich Herbert gern hinter den Bäumen und weder er noch die Freunde von damals wussten hinter welchem.
    Irgendwann traf sie dann immer ein Stein und sie bekamen einen mörderischen Schreck. Genau das wollte Herbert damit natürlich auch bezwecken.
    Er benutzte zwar nie die großen Steine, aber die kleinen konnten auch verdammt weh tun. Und man wusste nie ob, wann und wo man getroffen wurde.
    Genau wie jetzt wenn man so wollte.
     
    Herbert war immer der älteste von allen und deshalb war es wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass er der King war und derjenige, zu dem man gefälligst aufsehen musste.
    Er liebte diese kleinen perfiden Sticheleien wie die mit der Steinschleuder.
    Dabei war das noch vergleichsweise harmlos. Eine Zeit lang litt Herbert dauernd unter entzündeten Mandeln.
    Wenn er manchmal hustete, beförderte er klumpenartige Entzündungsherde zutage.
    Diese Dinger stanken wie die Pest wenn man sie verrieb. Ein bisschen wie Kacke und doch nach etwas ganz eigenem. Irgendwann hatte er den glorreichen Einfall, die Dinger nach dem Aushusten vorzuführen und eine Art Wettkampf zu veranstalten.
    Zum Beispiel, „Wer als erster vorne am Baum ist hat gewonnen . Der Verlierer muss an dem Ding hier riechen.“
    Das war typisch Herbert!
    Woher er diese teilweise sehr kranken Ideen hatte war schleierhaft und nichts, worüber Werner gern nachdachte.
     
    Er öffnete die Fahrertür des Autos. Christian sackte einfach zur Seite weg. Jetzt sah Werner, dass sich auf dem Sitzstoff inzwischen eine riesige Blutlache ergossen hatte.
    Christians Schädel sah aus wie ein gekochtes Ei, auf das jemand hungrig mit einem Teelöffel geklopft hatte.
    Er hat mehrere Kugeln im Kopf wurde Werner plötzlich bewusst.
    Sie stecken in seinem Gehirn.
    Er drehte sich um. Niemand war zu sehen und nichts war zu hören.
    Er versuchte den schwerverletzten Christian vom Fahrersitz auf den Beifahrersitz zu schieben, doch es gelang ihm nicht.
    Wenn, dann musste er ihn heraus zerren und rüber tragen. Wahlweise ginge auch über den Boden schleifen, doch das erschien ihm respektlos.
    Irre, über wie vieles man sich in so kurzer Zeit Gedanken machen kann.
    Aber ihm lief die Zeit davon.
    Überall konnten diese Wahnsinnigen lauern.
    Hinter jedem Baum konnten sie sich versteckt halten und in aller selenruhe auch auf seinen Kopf zielen.
    „Christian, du musst da rüber. Hörst du mich? Christian. Scheißdreck!“
    Er packte ihn an den Schultern und zog ihn aus dem Auto heraus. Er war so träge wie ein nasser Sack. Sein Kopf fiel seitlich ab. Werner spürte, dass der Mann, den er mit seinen Händen umklammerte, nicht mehr lebte.
    Er war aber auch noch nicht ganz tot.
    Er befand sich auf der sprichwörtlichen Schwelle ins Jenseits, an dem Punkt, der vielfach damit beschrieben wurde, dass man ein helles Licht am Ende eines langen Tunnels sah. Er stöhnte wie jemand der sagen wollte, „Nur noch fünf Minuten. Lass mich nur noch fünf Minuten schlafen.“
    Ein erbärmliches Gefühl.
    Er hätte ihn genau so gut hier liegen lassen können, aber das brachte er nicht fertig. Das konnte er moralisch nicht mit sich vereinbaren. Also schleifte er ihn ums Auto herum. Seine Augen suchten die Umgebung ab.
    Er glaubte, aus der Ferne Schritte zu hören und eine Vielzahl kalter Blicke auf sich zu spüren. Gleich hatte er ihn wieder im Auto.
    Gleich würde er davonfahren.
     Er würde über Funk Verstärkung anfordern.
    Er würde aus seinem „eigenen Wald“ verschwinden und andere diesen Job machen lassen. Christian fiel völlig in sich zusammen, als Werner ihn endlich auf dem Beifahrersitz hatte.
     Er schloss die Tür und atmete tief durch. Als er in geduckter Haltung um die Motorhaube herum ging, hörte er das Geräusch von raschelndem Laub.
    Er rannte, wohlwissend: sie waren tatsächlich da.
     
    Er packte den Türgriff.
    Dann hörte er ein Bellen.
    Die Schritte, das raschelnde Laub, hatte er sich also nicht eingebildet, und auch die blutrünstigen Augen

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