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Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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schien sie sich damit abgefunden zu haben, dass die Zeit der Völlerei vorüber war, und gab sich zufrieden. Ein großer Unterschied zu ihrem anfänglich gierigen Hunger.
    Sie bewegte sich nicht mehr sehr viel, rollte sich nur ab und zu ein wenig hin und her, undulierte ein- oder zweimal durch die Länge des Käfigs, streckte sich, als ob sie gähnte. Die meiste Zeit lag sie still, das einzige Lebenszeichen war ein leichtes Pulsieren der Flanken - Atemzüge oder Herzschlag, Isaac wusste es nicht. Sie sah gesund aus. Sie sah aus, als ob sie auf etwas wartete.
    Vorher, wenn er die Ration Dreamshit in die schmatzenden Mundwerkzeuge der Raupe fallen ließ, hatte Isaac sich manchmal dabei ertappt, wie er mit einem vagen, querulierenden Verlangen an seine eigene Erfahrung mit der Droge dachte. Nicht etwa nostalgisch verklärend. Er erinnerte sich sehr lebhaft an das Gefühl, in Jauche zu schwimmen, zutiefst besudelt, an das beklemmende, übelkeitserregende Schwindelgefühl, die panische Verwirrung in dem Mahlstrom fremder Emotionen und die Angst, seine eigene Angst zu verlieren und mit der einströmenden Furcht eines anderen Gehirns zu verwechseln … Dennoch, trotz der Vehemenz dieser Erinnerungen, beäugte er die Mahlzeiten seiner Raupe nachdenklich – und vielleicht sogar hungrig.
    Isaac war sehr bestürzt über diese Gefühle. Was Drogen anging, war er immer ein schamloser Feigling gewesen, abgesehen von den selbst gedrehten krümeligen Nebelkrautzigarillos seiner Studentenzeit, die Anfälle albernen Gekichers auslösten. Für etwas Stärkeres hatte er nie den Mumm gehabt. Dieser jetzt plötzlich aufkeimende Appetit trug nicht dazu bei, seine Ängste zu beschwichtigen. Er hatte keine Ahnung, wie hoch das Suchtpotenzial von Dreamshit war, ob es überhaupt abhängig machte, doch er weigerte sich strikt, der Lockung nachzugeben.
    Das Dreamshit war für seine Raupe bestimmt, ausschließlich.
    Isaac lenkte seine Neugier von sinnlichen in intellektuelle Kanäle. Er kannte nur zwei Chymiker persönlich, beides unerträgliche Moralisten, und eher würde er nackt die Tervisadd Avenue hinuntertanzen, als mit ihnen über Drogen zu sprechen. Stattdessen hörte er sich in den verrufenen Tavernen von Salacus Fields um. Etliche seiner Bekannten hatten, wie sich herausstellte, die Droge probiert, und einige konsumierten sie regelmäßig.
    Dreamshit schien bei allen Spezies die gleiche Wirkung zu haben. Keiner wusste, woher der Stoff kam, doch alle, die sich dazu bekannten, sangen Loblieder auf die fantastische Wirkung. Und in noch einem Punkt war man einig, Dreamshit kostete teu-er, und der Preis stieg. Nicht, dass es sie vom weiteren Konsum abgehalten hätte. Besonders die Künstler schwärmten in quasi-mystischen Vokabeln von der Kommunikation mit anderen schöpferischen Geistern. Isaac verspottete sie und behauptete (wohlweislich die Begrenztheit seiner persönlichen Erfahrungen verschweigend), die Droge sei weiter nichts als ein starkes Oneirogen, das die Traumzentren des Gehirns stimulierte wie Opja-Tee die visuellen und olfaktorischen Kortizes.
    Er glaubte es selbst nicht und war nicht erstaunt über die vehemente Opposition gegen seine Theorie.
    »Ich kann es auch nicht erklären«, hatte Thighs Growing ihm schwärmerisch anvertraut, »aber es lässt dich an Träumen teilhaben …« Und die anderen Eingeweihten, dicht gedrängt in der kleinen Nische im Glock’ und Gockel, nickten im Gleichtakt dazu wie ernsthafte Hampelmänner. Isaac setzte eine skeptische Miene auf, seiner Rolle als Spielverderber gemäß. Insgeheim musste er ihnen natürlich zustimmen. Er war entschlossen, mehr über diese außergewöhnliche Substanz herauszufinden – Lemuel Girrvogel bot sich als Informationsquelle an oder Lucky Gazid, falls er je wieder aus der Versenkung auftauchte –, aber das Tempo seiner Arbeit an der Krisistheorie überholte ihn. Seine Attitüde gegenüber der Droge, die er in den Raupenkäfig schob, blieb eine Mischung aus Neugier, Unbehagen und Unwissenheit.
    An einem warmen Tag im späten Melluary musterte Isaac kritisch seine Kostgängerin, die aufgegangen war wie eine Wurst aus Hefeteig. Sie war mehr als fett. Sie war mehr als eine Raupe mit Hang zum Gigantismus. Sie war ein Monster. Er ärgerte sich, dass sie so verdammt faszinierend war, sonst hätte er sie einfach vergessen können.
    Unten wurde die Tür aufgestoßen und Yagharek erschien im hereinströmenden Morgensonnenschein. Es war sehr, sehr ungewöhnlich für den

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