Perdido Street Station 01 - Die Falter

Garuda, vor Dunkelwerden zu erscheinen. Isaac sprang auf und winkte seinen Klienten nach oben.
    »Yag, Herzensbruder! Lange nicht gesehen! Ich treibe steuerlos im Ozean der Hypothesen und brauche dich als Anker. Komm rauf, komm rauf.«
    Yagharek folgte stumm der Aufforderung.
    »Woher weißt du eigentlich immer, wann Lublamai und David nicht hier sind?«, fragte Isaac. »Du beobachtest das Haus, oder hast du einen sechsten Sinn oder so was? Dammich, Yag, du musst aufhören, dich da draußen herumzudrücken wie ein verfluchter Straßenräuber.«
    »Ich habe mit dir zu reden, Grimnebulin.« Yaghareks Stimme klang ungewohnt schüchtern.
    »Leg los, alter Knabe.« Isaac setzte sich hin und schaute ihn abwartend an. Er wusste inzwischen, dass es sinnlos war, den Garuda auf irgendeine Sitzgelegenheit komplimentieren zu wollen.
    Yagharek legte den Umhang ab und das Holzgerüst und drehte sich mit vor der Brust verschränkten Armen zu Isaac herum. Wahrscheinlich war es der größte Vertrauensbeweis, zu dem Yagharek sich je würde überwinden können, sich mit seiner Verstümmelung vor ihm zu zeigen, unverhüllt. Isaac nahm an, dass er sich geschmeichelt fühlen sollte.
    Yagharek musterte ihn von der Seite.
    »Es gibt Leute von mancherlei Art in der Nachtstadt, in der ich lebe, Grimnebulin. Nicht alles ist Kehricht, was in der Gosse liegt.«
    »Das habe ich nie angenommen …«, wollte Isaac anfangen zu beteuern, aber Yagharek bewegte ungeduldig den Kopf, und er verstummte.
    »Viele Nächte verbringe ich allein und in der Stille, doch zu anderen Malen rede ich mit solchen, deren Verstand noch klar ist unter einer Patina aus Alkohol und Einsamkeit und Drogen.«
    Isaac lag es auf der Zunge einzuwerfen: »Ich hatte angeboten, dir eine Unterkunft zu suchen«, doch er bremste sich. Er wollte sehen, worauf dieses Gespräch hinauslief.
    »Ich traf einen Mann, einen gebildeten, betrunkenen Mann. Ich glaube, er hielt mich für eine Ausgeburt seiner Fantasie.« Yagharek holte tief Atem. »Ich erzählte ihm von deinen Theorien, deiner Krisis, und ich war aufgewühlt. Und der Mann sagte zu mir – der Mann sagte zu mir: ›Weshalb nicht Nägel mit Köpfen machen? Weshalb nicht die Macht des Torques nutzen?‹«
    Nach einem sehr langen Schweigen schüttelte Isaac in heller Verzweiflung den Kopf.
    »Ich bin gekommen, um die Frage an dich weiterzugeben, Grimnebulin«, fuhr Yagharek fort. »Weshalb nutzen wir nicht die Macht des Torques? Du versuchst, eine ganz neue Wissenschaft zu entwickeln, bei null beginnend, aber Torques-Energie existiert, Techniken, sie nutzbar zu machen, sind bekannt … Ich frage als Unwissender, Grimnebulin. Weshalb bedienst du dich nicht des Torques?«
    Isaac stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus und knetete seine Wangen. Seine gute Laune war dahin, doch in erster Linie hatte er Angst und wollte dieses Gespräch schnellstmöglich beenden. Er hob die Hand.
    »Yagharek…«, begann er, doch im selben Moment klopfte es unten an die Tür.
    »Hallo?«, rief eine heitere Stimme. Yagharek erstarrte. Isaac sprang auf. Die Unterbrechung kam genau im rechten Moment.
    »Wer ist da?« Er lief die Treppe hinunter.
    Der Kopf eines Mannes schob sich durch den Türspalt. Er sah freundlich aus, so sehr, dass es fast schon unecht wirkte.
    »Hallo, Chef, ich komme wegen dem Faktotum.«
    Isaac schüttelte den Kopf. Er hatte keine Ahnung, wovon der Mann redete. Ein rascher Blick nach oben zeigte ihm, dass von Yagharek nichts zu sehen war, der Garuda hatte sich in den Hintergrund der Empore zurückgezogen. Der Mann in der Tür überreichte Isaac eine Geschäftskarte.
     
    NATHANIEL ORRIABENS KONSTRUKTE
    REPARATUR & AUSTAUSCH
    QUALITÄT UND SERVICE
    ZU VERNÜNFTIGEN PREISEN
     
    »Ein Herr ist gestern ins Geschäft gekommen, ein – hm …« Der Mann las von einem Zettel ab. »Mr. Serachin. Sein Reinigungsgerät – äh – EKB4C soll Mucken haben. Könnte ein Virus sein oder alles Mögliche. Der Termin war für morgen abgemacht, aber weil ich gerade in der Nähe zu tun hatte, dachte ich, ich schau mal auf gut Glück vorbei, ob jemand zu Hause ist.« Der Mann grinste von einem Ohr zum anderen. Er stemmte die Fäuste in die Taschen seines ölfleckigen Overalls.
    »Stimmt.« Isaac nickte. »Also hören Sie – momentan passt es nicht besonders gut …«
    »Tja, ist natürlich Ihre Entscheidung. Nur…« Der Mann verstummte und schaute sich um, bevor er weitersprach, als wäre er im Begriff, ein Geheimnis preiszugeben. Nachdem er sich