Perdido Street Station 01 - Die Falter
seine Augen wurden glasig.
Dies war der Ort seines moralischen Scheiterns, dieses Haus der Remadehuren.
Die Stadt wimmelte natürlich von Remadeprostituierten. Oft war es für Frauen und Männer nach einem Remaking der einzige Ausweg, wenn sie nicht verhungern wollten. Doch hier, im Rotlichtbezirk, bediente man sexuelle Kapricen mit ausgesuchter Raffinesse.
Die meisten Remadedirnen waren für Vergehen einer anderen Kategorie verurteilt worden, ihr Remaking bestand gewöhnlich in wenig mehr als einer bizarren Behinderung für die Ausübung ihres Gewerbes, wodurch ihr Marktpreis gedrückt wurde. Dieser Distrikt jedoch lud den Spezialisten ein, den anspruchsvollen Konsumenten. Hier wurden die Huren eigens für das Gewerbe modifiziert. Hier gab es teure Körper, maßgeschneidert für die Liebhaber von entstelltem Fleisch. Verkaufte Kinder; Männer und Frauen, die von Schulden gezwungen wurden, sich an die Sarkoskulpteure zu verkaufen, die illegalen Remaker. Man munkelte, so mancher wäre zu einem anderen Remaking verurteilt worden, um dann in den Vollstreckungsfabriken ausgefallenen fleischlichen Schnittmustern entsprechend umgeformt und an die Zuhälter und Madames verkauft zu werden. Ein profitables Nebengeschäft der staatlichen Biothaumaturgen.
Zeit dehnte sich ekelerregend in diesem endlosen Korridor, wie ranziger Sirup. An jeder Tür, jeder Station unterwegs, konnte David nicht anders, als hinzuschauen. Er befahl sich, den Blick abzuwenden, aber seine Augen wollten ihm nicht gehorchen.
Es war ein Albtraumgarten. Jeder Raum enthielt eine einzigartige Fleischblume, eine Blüte der Qual.
David ging vorbei an nackten Leibern, besetzt mit Brüsten dicht an dicht wie ein hügeliger Schuppenpanzer; an monströsen krebsähnlichen Torsi mit schlanken Mädchenbeinen an beiden Enden; einer Frau mit wissenden Augen über einer zweiten Vulva, der Mund ein vertikaler Schlitz mit feuchten Labien, künstlicher Zwilling der anderen Vagina zwischen ihren gespreizten Beinen; zwei jungen Knaben, die verwirrt die mächtigen Phalli bestaunten, die ihren Lenden entsprossen; einem Hermaphroditen mit vielen Händen.
In Davids Kopf setzte etwas aus. Er fühlte sich benommen, betäubt, erschöpft von all dem Grauen.
Nummer 17. David schaute nicht zurück. Er spürte die Augen der Remade in seinem Rücken, dieser Gefangenen in ihren Kerkern aus Blut und Gebein und Sex.
Er klopfte. Nach einem Moment wurde innen die Kette weggenommen und die Tür einen Spalt geöffnet. David schluckte den schlechten Geschmack im Mund herunter und trat ein, aus dem Korridor der Schande in seine ganz private Schreckenskammer. Die Tür schloss sich.
Ein Mann saß auf einem schmuddeligen Bett, er trug einen Anzug und strich eben seine Krawatte glatt. Ein zweiter Mann, der die Tür geöffnet und geschlossen hatte, stand hinter David, die Arme vor der Brust verschränkt. David streifte ihn mit einem kurzen Blick und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf den Mann auf dem Bett.
Der wies auf einen Stuhl am Fußende. David zog ihn heran und setzte sich.
»Hallo, ›Sally‹«, sagte er ruhig.
»Serachin«, antwortete der Mann. Er war hager, mittleren Alters. Seine Augen blickten abwägend, klug. Er wirkte vollkommen fehl am Platz in diesem schäbigen Zimmer, diesem anrüchigen Haus und doch, sein Gesicht drückte nicht das mindeste Unbehagen aus. Er wartete mitten unter den Remadehuren mit derselben ruhigen Gelassenheit wie in den Fluren des Parlaments.
»Sie haben um ein Gespräch gebeten«, fuhr er fort. »Es ist einige Zeit her, seit wir von Ihnen gehört haben. Wir hatten Sie als Schläfer vorgesehen.«
»Nun …« David rückte unbehaglich hin und her. »Es gab nicht viel zu berichten. Bis jetzt.«
Der Mann nickte zustimmend und wartete.
David leckte sich über die Lippen. Er hatte Mühe, einen Anfang zu finden.
Der Mann musterte ihn scharf, runzelte die Stirn. »Der Tarif ist immer noch derselbe«, bemerkte er. »Sogar etwas besser.«
»Jabber, nein, das ist es nicht. Ich …« David schüttelte den Kopf. »Ich bin nur – aus der Übung.«
Der Mann nickte wieder.
Gewaltig aus der Übung, dachte David hilflos. Sechs Jahre, und ich hatte mir geschworen, nie wieder! Bin ausgestiegen. Ihr hattet die Nase voll von Erpressung und ich brauchte das Geld nicht …
Als alles anfing, vor 15 Jahren, waren sie in genau dieses Zimmer eingedrungen, als David sich eben in einen der Münder eines abgenutzten, mageren Remademädchens ergoss. Die Männer
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