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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Unrat abschütteln, den man ihr aufgebürdet hatte. Am Nordhang der Umwallung aus Industrieschrott flammten lautlos zwei riesige Lichter auf. Die Versammlung stand gebannt in den Kegeln gleißender Helligkeit, die einen messerscharf umrissenen Doppelkreis auf den Boden zeichnete. Die Menschen murmelten und vollführten ihren Kotau mit doppelter Inbrunst.
    Isaacs Kinnlade sank langsam herab.
    »Heiliger Jabber, beschütze uns«, wisperte er.
    Der Wall aus Müll geriet in Bewegung. Er richtete sich auf.
    Die Sprungfedern und morschen Fensterrahmen, die Pleuel und Dampfkessel ausrangierter Lokomotiven, die Luftpumpen und Ventilatoren, Flaschenzüge und Fließbänder und Maschinenwebstuhlteile fügten sich wie bei einer optischen Täuschung zu einer alternativen Konfiguration. Er hatte es die ganze Zeit vor Augen gehabt, doch erst jetzt, als es sich langsam, schwerfällig, wider alle Vernunft bewegte, sah Isaac es wirklich. Das da war ein Oberarm, diese verlöteten Regenrinnen; dort, der kaputte Kinderwagen und die umgedrehte Schubkarre, waren Füße, jenes kleine Dreieck aus Dachsparren war ein Hüftknochen, das große Chymikalienfass ein Ober- und der keramische Zylinder ein Unterschenkel …
    Das Gerümpel war ein Körper. Ein ungeheures Skelett aus Schrott und Sperrmüll, achteinhalb Meter vom Scheitel bis zur Sohle.
    Es saß da wie aus dem Müllberg herausgewachsen, an dem der Rücken lehnte, mit angezogenen Knien, klobige Gelenke, zusammengeschraubt aus zentnerschweren Scharnieren vom Arm irgendeiner ehemals imposanten Maschine. Die Füße standen flach auf dem Boden, je mit einem verwickelten Gestrick aus Drähten und Kabeln an den dünnen Metallträgerbeinen befestigt.
    Es kann nicht stehen!, dachte Isaac benommen. Er schaute zur Seite und sah, dass Lemuel und Derkhan ebenso fassungslos staunten, dass Yaghareks Augen im Schatten der Kapuze glühten. Es ist nicht stabil genug, es kann nicht aufrecht stehen, es kann sich nur im Müll suhlen …
    Der Rumpf des Golems aus Schrott war ein verwickeltes Konglomerat aus Elyktrik und Mechanik, gelötet, verschweißt. Alle möglichen Maschinen fanden sich darin verarbeitet. Ein immenser Wust aus Drähten und Kabeln und Schläuchen spross aus Ventilen und Anschlüssen an Leib und Gliedmaßen und verschlängelte sich tentakelähnlich überall in der Müllwüstenei. Die Kreatur hob einen von einem massigen Dampfhammerkolben bewegten Arm. Die Scheinwerferaugen senkten sich auf die Konstrukte und Menschen unten – es waren Straßenlaternenbrenner, gespeist von riesigen Gasflaschen im Inneren des Schädels. Der Grill einer Lüftungsanlage, an den unteren Teil des Gesichts gebolzt, erinnerte an das fleischlos bleckende Grinsen eines Totenschädels.
    Es war ein Konstrukt, ein gigantisches Konstrukt aus weggeworfenem und gestohlenem Gerät. Zusammengefügt und belebt ohne menschliches Zutun.
    Man hörte das Summen starker Motoren, als der Kopf der Kreatur sich drehte und optische Linsen die im Lichtkreis stehenden Menschen abtasteten. Zugfedern und überdehntes Metall ächzten und knarrten.
    Die menschlichen Anbeter sangen leise.
    Das gewaltige Mixtum compositum erblickte Isaac und seine Gefährten. Es reckte den begrenzt beweglichen Hals bis zum Äußersten.
    Die Gaslichtkegel erfassten die vier und nagelten sie fest. Ihr Schein war schmerzhaft grell.
    Dann erloschen sie schlagartig, und gleichzeitig ließ sich ganz in der Nähe eine dünne, zittrige Stimme vernehmen.
    »Willkommen in unserem Kreis, dar Grimnebulin, Girrvogel, Blueday und Gast aus dem Cymek.«
    Isaac schaute sich heftig blinzelnd nach allen Seiten um, er war noch geblendet und konnte nichts sehen.
    Als der Nebel vergangenen Lichts von seinen Augen wich, erblickte Isaac verschwommen die Gestalt eines Mannes, der schwankend und stolpernd auf sie zukam. Isaac hörte Derkhan scharf einatmen und dann mit einer angewidert und erschreckt klingenden Stimme leise fluchen.
    Einen Moment lang war er verwirrt, aber dann, als seine Augen sich nach der vorherigen Lichtattacke an den halbherzigen Schein des Mondes gewöhnt hatten und er die näher kommende Gestalt zum ersten Mal deutlich sah, entfuhr ihm gleichzeitig mit Lemuel ein entsetztes Stöhnen. Nur Yagharek, der Wüstenkrieger, blieb stumm.
    Der Mann, der sie angesprochen hatte, war nackt und abgemagert bis auf die Knochen. Sein Gesicht war mit weit aufgerissenen Augen zu einem Ausdruck grässlichen Unbehagens verzerrt. Seine Lider flatterten, sein ganzer Körper

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