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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Stadtnacht entgegenkroch.
    Yagharek hatte nicht gesehen, wo er herausgekommen war, aber genau das musste er wissen. Sein Blick flog zwischen der heimtückischen Kreatur und dem Fleck Dunkelheit hin und her, wo er das Nest vermutete.
    Und er wurde fündig. Die Spiegel zeigten ihm einen Block eng zusammenstehender alter Häuser an der Südwestseite des Glashauses, ehedem Domizile des gehobenen Mittelstandes, doch heute, um- und ausgebaut von Generationen von Kaktusleuten, stachen sie kaum mehr von ihrer Umgebung ab. Sie überragten die benachbarten Gebäude um eine Kleinigkeit, und die oberen Stockwerke wären der Abwärtskrümmung der Kuppel im Weg gewesen. Doch statt sie ganz abzureißen, hatte man die Häuser den Gegebenheiten angepasst, die oberen Stockwerke entfernt, soweit sie mit dem Glas kollidierten, und den Rest intakt gelassen. Je weiter entfernt vom Zentrum die Häuser, desto niedriger die Kuppel über ihnen und desto umfangreicher die Abtragungen.
    Ursprünglich war es der Keil gewesen, der in eine Straßengabelung hineinragte. Das vorderste Haus war fast vollständig, nur das Dach fehlte. Daran schloss sich eine stufenförmig niedriger werdende Zeile von Backsteingebäuden an, von der Masse der Kuppel zusammengestaucht und am Rand der Kaktusstadt zu Grundmauern und Geröll reduziert.
    Aus dem obersten Fenster dieser alten Wohnanlage schob sich die unverwechselbare, bösartige Schnauze eines Gierfalters.
    Wieder raste Yaghareks Herz und nur mit großer Disziplin konnte er es zwingen, ruhiger zu schlagen. Die Trance bewirkte, dass er all seine Emotionen gedämpft wahrnahm, wie durch einen Filter. Und diesmal spürte er vage neben der Angst auch Erregung.
    Er wusste jetzt, wo die Gierfalter nisteten.
     
    Nun, da er gefunden hatte, wonach er suchte, bewegte ihn nur der eine Wunsch: möglichst schnell am inneren Gerüst der Kuppel hinunterzuklettern, das Reich der Gierfalter zu verlassen und die luftige Höhe, und am Boden Zuflucht zu suchen, zwischen schützenden, Deckung gewährenden Mauern. Doch mit hastigen Bewegungen hätte er die Aufmerksamkeit der Gierfalter auf sich gelenkt. Er musste warten, schwitzend, stumm und regungslos, während die monströsen Kreaturen ihre Kletterpartie fortsetzten.
    Der zweite Falter schwang sich vollkommen lautlos in die Luft, segelte das kurze Stück mit ausgebreiteten Schwingen und landete an dem stählernen Gebein des Glashauses. Mit einer widerwärtig anmutenden Geschmeidigkeit glitt er zu seinem Bruder hinauf.
    Yagharek wartete, ohne sich zu rühren.
    Einige Minuten vergingen, bevor der dritte Falter sich zeigte.
    Seine Geschwister hatten langsam und verstohlen kletternd schon fast den Vertex der Kuppel erreicht. Der Nachzügler war zu ungeduldig. Er stand in dem dunklen Fenster, aus dem auch die anderen zum Vorschein gekommen waren, balancierte seinen polymorphen Körper auf dem Sims. Dann, mit einem klatschenden Flügelschlag, schwang er sich in die Höhe, geradewegs in Richtung des Schlupflochs.
    Yagharek wusste nicht genau, woher das unmittelbar folgende Geräusch stammte, aber er glaubte, dass die beiden ersten Gierfalter ihren fliegenden Bruder anzischten, missbilligend oder als Warnung.
    Ein Summen antwortete. In der nächtlichen Stille hörte man überdeutlich das Klicken mechanischer Vorrichtungen von der obersten Stufe des Tempels.
    Yagharek verhielt sich absolut still.
    Ein Licht stach von der Zikkurat ausgehend ins Dunkel, ein grellweißer Strahl von solcher Intensität, dass er beinahe stofflich wirkte. Er kam aus der Linse der rätselhaften Maschine.
    Yagharek starrte in seine Spiegel. In dem schwachen Hof, der den gleißenden Suchscheinwerfer umgab, sah er eine Gruppe Kaktusältester hinter der Apparatur stehen; jeder hantierte hektisch an einem Regler, einem Ventil; einer bediente zwei große Kurbeln an der Rückseite des Sockels, mit deren Hilfe er den Strahl dirigierte.
    Das Licht prallte auf irgendeine Stelle der Kuppel, wurde von seinem Lenker zu einer anderen Position gerenkt, rotierte einen Moment ziellos und erfasste endlich den ungeduldigen Falter, der eben die zerbrochene Glasplatte erreicht hatte, die den Geschöpfen als Durchschlupf diente.
    Die schauerliche Kreatur wandte die gehörnten Augengruben der Lichtquelle zu und stieß ein giftiges Fauchen aus.
    Yagharek hörte die Besatzung der Zikkurat durcheinanderrufen, in einer Sprache, die seinem Ohr vertraut klang. Es war eine Legierung, ein Hybrid-Idiom, hauptsächlich Worte, die er zuletzt

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