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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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in Shankell gehört hatte, neben New-Crobuzon-Ragamoll und anderen, ihm fremden Kontributionen. Während seiner Zeit als Gladiator in der Wüstenmetropole hatte er ein paar Brocken ihrer Sprache von seinen Buchmachern gelernt, von denen die meisten Kaktusleute waren. Die Wendungen, die er jetzt hörte, waren eigenartig, seit Jahrhunderten nicht mehr gebräuchlich und gespickt mit Lehnwörtern aus anderen Dialekten, aber trotzdem verständlich.
    »… dort!«, verstand er und etwas von wegen Licht. Dann, als der Gierfalter sich in die Tiefe fallen ließ, um dem Lichtstrahl zu entfliehen, verstand er ganz deutlich: »Er kommt!«
    Der Strahl oszillierte wild, wie das Signal eines verrückt gewordenen Leuchtturmwärters, als die Kaktusleute sich bemühten, den geflüchteten Falter wieder ins Visier zu bekommen. Er schwenkte über die Häuser unten, dann steil hinauf in die Wölbung der Kuppel.
    Die anderen beiden Falter blieben unentdeckt, flach an die Glasscheiben gepresst.
    Von unten tönten die Bruchstücke einer hitzigen Diskussion herauf.
    »… fertig … Himmel«, verstand er, dann einen Ausdruck, der sich anhörte wie eine Verschmelzung der Shankellworte für »Sonne« und »Speer«. Jemand schrie, man solle aufpassen, und etwas über den Sonnenspeer und Häuser: zu weit, riefen sie, zu weit.
    Ein geblaffter Befehl von dem Kaktus an den Kurbeln des riesigen Scheinwerfers, und seine Mannschaft nahm die entsprechenden Einstellungen vor. Der Lenker verlangte »Begrenzungen«, von was, konnte Yagharek nicht verstehen.
    Für einen kurzen Moment erfasste der kreiselnde Lichtstrahl sein Ziel, und die fantastische Erscheinung des Gierfalters warf einen gespenstischen Schatten durch das Innere der Kuppel.
    »Fertig?«, rief der Lenker. Ein Chor von Bestätigungen antwortete ihm.
    Er bemühte sich verbissen, mit dem Lichtstrahl der Flugbahn des Falters zu folgen. Die Kreatur tummelte sich unbekümmert wie in höhnischem Spiel, tanzte in der Luft, beschrieb Kurven, Schleifen, Spiralen, eine vage erkennbare Darbietung virtuoser Aerobatik, ein Schattenzirkus.
    Doch plötzlich, für den Bruchteil einer Sekunde, spießte der Lichtstrahl die Kreatur mit ausgebreiteten Schwingen an den Himmel und die Zeit schien stillzustehen angesichts ihrer überwältigenden, unbegreiflichen und schrecklichen Schönheit.
    Der Kaktus, der die Maschine bediente, zog an einem verborgenen Hebel, und eine Art Kugelblitz schoss aus der Linse und gleißte den Pfad des Scheinwerfers entlang. Yagharek riss die Augen auf. Das Geschoss aus Licht und Hitze explodierte wenige Meter vor der Glashülle der Kuppel.
    Der grelle Blitz erzeugte eine betäubende Stille.
    Yagharek schloss geblendet für einen Moment die Augen.
    Die Kaktusleute unten redeten wieder miteinander.
    »… getroffen?«, fragte einer. Der Tonfall der antwortenden Stimmen verriet, dass man sich nicht einig war.
    Sie spähten, zusammen mit Yagharek unentdeckt über ihren Köpfen, zu der Stelle, wo der Gierfalter eben noch gewesen war. Sie suchten den Boden ab, schwenkten den Lichtstrahl über den Ort.
    Überall in den Straßen unten sah Yagharek die bewaffneten Patrouillen stehen bleiben und stillhalten, während der Scheinwerfer über sie hinwegwanderte.
    »Nichts«, verkündete einer der Ältesten von oben und »Nichts!«, tönte es auch aus allen anderen Sektoren durch die klaustrophobische Nacht.
    Aus den Fenstern der Häuser fielen schmale Lichtbahnen auf das Straßenpflaster, als hinter dicken Vorhängen und hölzernen Läden die Lampen angezündet wurden. Doch obwohl aufgeschreckt von dem nächtlichen Aufruhr, schaute keiner der Bewohner nach draußen, keiner wollte sich der Gefahr aussetzen, nachzusehen, was es gab. Die Wächter draußen blieben auf sich allein gestellt.
    Dann belehrte ein Rauschen der Luft, schmeichelnd wie ein lang gezogener, lasziver Seufzer, die Kaktusleute, dass sie den Gierfalter nicht getroffen hatten. Er hatte sich mit einem scharfen Zickzackmanöver aus dem Bereich des Sonnenspeers gebracht, um dann dicht über den Hausdächern dahinzustreichen, sich an den Turm heranzutasten und unbemerkt hinaufzuklimmen. Jetzt erhob er sich majestätisch über die Brüstung, die Schwingen zu ihrer vollen Spannweite ausgebreitet; Muster flackerten darüber hin, glosend und ruhelos wie das Spiel dunkler Flammen.
    Es gab diesen winzigen Augenblick, als einer der Ältesten aufschrie. Es gab diese eine Sekunde, als der Geschützführer versuchte, den Sonnenspeer auf den Falter

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