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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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verquollen aus dem schmutzigen Gesicht. Sie zeigte hinter sich in die Hütte. »Wir haben auf euch gewartet.«
     
    Isaac war derjenige, der sich mit dem Konzil verständigen konnte, Yagharek bewirkte Scheu, aber kein Vertrauen bei den Leuten, mit denen er zu tun hatte, Pengefinchess gehörte nicht mehr zu ihnen, deshalb war es Derkhan, die diesen furchtbaren, unzumutbaren Gang antreten musste. Sie kam sich vor wie ein böser Geist.
    Auf dem ersten Stück Wegs, als sie durch die tintige Dunkelheit hastete, die die Straßen ausfüllte, hatte sie geweint, therapeutische Tränen, um den Druck in ihrem gepeinigten Schädel zu mindern. Sie ging gebückt, mit hochgezogenen Schultern, denn von den wenigen Frühaufstehern, die sie raschen Schrittes irgendeinem Ziel zustreben sah, waren aller Wahrscheinlichkeit nach etliche als Spitzel für die Miliz tätig. Die albtraumgeschwängerte Atmosphäre, die über der Stadt hing, bedrückte sie.
    Später, als die Sonne aufging und die Reste der Nacht in die Gullys drängte, bewegte sie sich leichter, als wäre der Stoff der Dunkelheit ein Widerstand gewesen, gegen den sie ankämpfen musste.
    Ihre Mission war nicht weniger schrecklich, aber Dringlichkeit bleichte das Grauen zu einem dünnen Schatten. Sie wusste, dass ihnen die Zeit davonlief.
    Ihr Ziel war das Armenspital in Syriac Well. Sie hatte ein gutes Stück zu gehen, vier oder mehr Meilen durch planlos gewucherte Slums, vorbei an baufälligen Gebäuden. Eine Droschke zu nehmen kam nicht in Frage; der Kutscher konnte ein Spitzel sein, der nur darauf wartete, dass ihm jemand ins Netz ging, der steckbrieflich gesucht wurde. Also hielt Derkhan sich im Schatten der Sud Line, deren Geleise sich je weiter vom Stadtzentrum entfernt, desto höher über die Dächer schwangen. Die düsteren, tropffeuchten Mauerbögen des Viadukts gähnten über den gedrungenen Straßen von Syriac.
    Bei der Syriac Rising Station bog Derkhan ab und tauchte in das Straßengewirr südlich des Gross Tar. Der Lärm der fliegenden Händler und Marktschreier wies den Weg zur Tincture Prom, dem breiten, schmuddeligen Boulevard, der Syriac, Pelorus Fields und Syriac Well verband. Er folgte dem Lauf des Gross Tar wie ein ungenaues Echo und änderte unterwegs gleich mehrmals den Namen, wurde erst zu Wynion Way und dann zu Silverback Street. Derkhan hielt sich an parallel verlaufende Seitengassen, aus denen sie gelegentlich einen Blick auf das bunte Markttreiben warf, auf die zweirädrigen Droschken und die dem Verfall trotzenden Renommierbauten. An der Stelle, wo der Boulevard einen scharfen Knick machte und nach Norden weiterführte, nahm sie ihren Mut zusammen und eilte auf die andere Seite hinüber, eine mürrisch dreinblickende, zerlumpte Bettlerin. Anschließend war es nicht mehr weit bis ins das Zentrum von Syriac Well und zum Veruline Hospital.
    Das Hospital war ein altehrwürdiger, riesiger Kasten, picotiert mit Zinnen und aufgeputzt mit Ornamenten aus Backstein und Beton: Götter und Dämonen beäugten sich aus Lünetten über Fenstern, Drachen säumten sprungbereit die Dachkanten. Dreihundert Jahre zuvor war es ein pompöses Sanatorium für wunderlich gewordene Angehörige reicher Familien gewesen, hübsch situiert in der damals noch kleinen, luftigen Dependance der großen Stadt. Doch im Lauf der Zeit hatten die Slums sich ausgebreitet wie ein Geschwür und Syriac Well überwuchert. Das Sanatorium wurde aufgelöst und als Lagerhaus für billige Wolle genutzt, im Rahmen der Abwicklung eines Bankrotts leer geräumt und usurpiert von einer Diebesgilde, dann einer Gewerkschaft der Thaumaturgen, bis diese an Mitgliederschwund einging und der Veruline Orden das Gebäude erwarb, um es wieder in ein Spital zu verwandeln.
    In einen Ort der Heilung, sagten sie.
    Ohne Kapital oder Medikamente, angewiesen auf die freiwillige Arbeit von Ärzten und Apothekern, wann immer diese eine karitative Regung verspürten, mit einem Stab frommer, aber medizinisch unwissender Nonnen und Mönche, war das Veruline Hospital der Ort, wo die Armen hingingen, um zu sterben.
    Derkhan ging an dem Portier vorbei, ohne auf seine Fragen zu antworten, als wäre sie taub. Er rief ihr hinterher, aber sie ging weiter, die Treppe zum ersten Stock hinauf, zu den drei belegten Stationen.
    Und dort – dort hatte sie gefahndet.
    Sie erinnerte sich, wie sie an sauberen, abgebrauchten Betten entlangging, unter großen Bogenfenstern voll kalten Lichts, vorbei an stöhnenden, sterbenden Körpern. Dem

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