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Perfekt

Titel: Perfekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith McNaught
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Gelegenheit gehabt hatte, das Geld zu nehmen. Außerdem war sie der Neuling, die Außenseiterin, das Kind aus der kriminellen Großstadt. Und da nie zuvor etwas Ähnliches in der Klasse vorgekommen war, fiel der Verdacht automatisch auf Julie. Als sie heute nachmittag vor dem Büro des Schuldirektors warten mußte, hatte sie gehört, wie Mr. Duncan seiner Sekretärin mitteilte, er werde wohl Reverend und Mrs. Mathison anrufen und ihnen von dem gestohlenen Geld erzählen müssen. Und das hatte er offenbar bereits getan, denn Reverend Mathisons Wagen stand in der Einfahrt. Normalerweise kam er nie so früh nach Hause.
    Als sie das Tor zum Vorgarten erreichte, der von einem weißgestrichenen Palisadenzaun umgeben war, blieb sie einen Moment stehen und blickte auf das Haus. Der Gedanke, daraus verbannt zu werden, ließ ihre Knie derart zittern, daß sie kaum weitergehen konnte. Die Mathisons hatten ihr ein Heim gegeben, ein eigenes Zimmer mit einem Himmelbett und einer geblümten Tagesdecke darauf. All das würde sie aber längst nicht so vermissen wie die Umarmungen. Und das Lachen. Und die wunderbaren Stimmen. Oh, sie alle besaßen so warme, liebevolle Stimmen - Stimmen, in denen immer ein sanftes Lachen mitschwang. Allein bei dem Gedanken daran, daß James Mathison nie wieder sagen würde: »Schlaf gut, Julie. Und vergiß dein Gute-Nacht-Gebet nicht, Liebes«, hätte Julie sich am liebsten in den Schnee geworfen und geheult wie ein Baby. Und wie würde sie ohne Carl und Ted leben können, die sie bereits als ihre großen Brüder ansah und die sie immer wieder aufforderten, mit ihnen ins Kino zu gehen oder ein Spiel zu spielen? Nie wieder würde sie mit ihrer Familie die Kirche besuchen, mit ihnen in der vordersten Bank sitzen und zuhören, wie Reverend Mathison von »unserem Herrn« sprach, während die Gemeinde seinen Worten andächtig lauschte. Dabei hatte Julie das anfangs gar nicht gemocht. Der Gottesdienst schien Tage zu dauern, nicht Stunden, und die Kirchenbänke waren steinhart. Dann aber hatte sie angefangen zuzuhören, was Reverend Mathison erzählte, und nach einigen Wochen war sie bereits so weit, selbst zu glauben, daß es wahrhaftig einen gütigen Gott gäbe, der sich um jeden einzelnen sorge -sogar um Schmuddelkinder wie Julie Smith. Als sie so im Schnee stand, murmelte Julie Reverend Mathisons Gott ein flehendes »Bitte« zu, obwohl sie sicher war, das es nichts helfen würde.
    Sie hätte wissen müssen, daß das alles einfach zu schön war, um von Dauer sein zu können. Das erkannte Julie jetzt, und die Tränen, die sie krampfhaft zurückgehalten hatte, rannen ihr in Strömen übers Gesicht. Einen Augenblick lang hatte sie gehofft, mit einigen Schlägen davonzukommen und nicht nach Chicago zurückgeschickt zu werden, aber das war unmöglich. Ihre Pflegeeltern hielten nämlich nichts von Schlägen, während sie Lügen und Stehlen als schwere Vergehen ansahen, die »dem Herrn« und auch ihnen völlig inakzeptabel erschienen. Julie hatte versprochen, weder zu lügen noch zu stehlen, und sie hatten ihr völlig vertraut.
    Der Tragriemen ihrer neuen Nylon-Schultasche rutschte von ihrer linken Schulter, und die Tasche fiel in den Schnee. Doch Julie fühlte sich viel zu elend, um sich daran zu stören. So zog sie die Tasche hinter sich her und stampfte, vor Schmerz betäubt, auf das Haus zu und die Treppen zur Veranda hinauf.
    Backbleche voll Schokoladenplätzchen, Julies Lieblingsgebäck, standen zum Auskühlen auf der Küchenanrichte, als sie die Tür hinter sich schloß. Normalerweise lief ihr beim Duft frischgebackener Plätzchen das Wasser im Munde zusammen, heute aber verursachte es ihr regelrecht Übelkeit, denn Mary Mathison würde wohl nie wieder Schokoplätzchen für sie backen. Die Küche war leer, das Wohnzimmer ebenso, doch sie konnte die Stimmen ihrer Pflegebrüder hören, deren Zimmer am anderen Ende der Diele lag. Mit zitternden Händen hing Julie ihre Schultasche und ihre Daunenjacke über einen der Haken neben der Küchentür und ging dann zum Zimmer der beiden Jungen.
    Carl, der sechzehnjährige Pflegebruder, sah sie in der Tür stehen. Er legte seinen Arm um ihre Schulter. »Hi, Julie-Bob«, neckte er das Mädchen, »was hältst du von unserem neuen Poster?« Normalerweise mußte Julie lächeln, wenn Carl ihren Spitznamen benutzte, den sie ihrem Bubikopf zu verdanken hatte. Heute jedoch brach sie fast in Tränen aus, weil sie auch das nie wieder hören würde. Ted, zwei Jahre jünger als

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