Perfekte Manner gibt es nicht
verlangen. Wirklich, ich treffe keinen einzigen richtigen Ton.«
»Das hier kennen Sie bestimmt auch.« Er hielt das Buch hoch. »›You’re So Vain.‹ Singen Sie das.«
»Nein, Frank.« Wann hatte sie sich das letzte Mal so herrlich amüsiert? Sie wusste es nicht. Nach Gilberts Tod wohl kaum. Trotz seiner steifen Art konnte er sehr humorvoll sein, wenn er wollte. Seit er gestorben war, führte sie ein ziemlich langweiliges Leben. Sie hatte zwar versucht, sich mit Wohltätigkeits-Events abzulenken. Doch die interessierten sie nicht sonderlich. Gewiss war es viel lustiger, einen Elch-Burger zu essen und mit einem pensionierten Polizisten aus New York City Karaoke zu singen. Wer hätte gedacht, dass sie in Alaska, auf der Suche nach ihrem vermissten Sohn,
einem Mann begegnen würde, in dessen Gesellschaft sie sich wieder wie ein Teenager fühlte? Sie selbst gewiss nicht.
»Natürlich müssen Sie was singen«, beharrte Frank. »Das hab ich ja auch getan.«
»Also gut«, gab sie nach und seufzte dramatisch. »Aber ich suche mir meinen Song selber aus, besten Dank.« Sie ergriff das Buch, blätterte darin und las die Titel. Beinahe in jedem kam das Wort »Liebe« vor. Und gab es ein besseres Thema als dieses eine, das in normalerweise vernünftigen Menschen so alberne, schwindelerregende Emotionen erzeugte?
Wie auch bei Eleanor an diesem Abend.
Sie fühlte sich überschäumend vor Energie, wie Champagnerbläschen in einem Kristallkelch. Einfach lächerlich, denn es musste fast Mitternacht sein – und zu Hause in New York sogar kurz vor drei Uhr morgens. Wann war sie zum letzten Mal so lange aufgeblieben? Sie erinnerte sich nicht. Unmöglich, dass sie sich in einen pensionierten Polizisten verliebt hatte, einen fünffachen Vater, den sie erst seit drei Tagen kannte …
Und doch – Alessandro hatte ihn auf Anhieb gemocht. Und der täuschte sich nie in einem Menschen.
Mit dem Textbuch in der Hand stand sie auf und fühlte sich so übermütig und fröhlich wie ein fünfzehnjähriges Mädchen. »Jetzt werde ich was singen«, verkündete sie.
Frank applaudierte, und der freundliche Barkeeper ließ sich die Nummer des Songs nennen, die er in den Computer tippte.
Dann umklammerte Eleanor das Mikrofon und
wandte sich zu ihrem Publikum, das aus einer einzigen Person bestand. Der Barkeeper, in eine Patience vertieft, beachtete sie nicht. Aus voller Kehle begann sie, ein Lied vorzutragen, das sie noch nie gehört hatte, und sie wusste auch gar nicht, wie man es singen musste. Aber es war der erste Titel, den sie im Moment der Erkenntnis ihrer Liebe zu Frank Calabrese gelesen hatte. Und deshalb würde »Kung Fu Fighting« stets einen besonderen Platz in ihrem Herzen einnehmen.
Zwölf Etagen über der Bar des Four Seasons Hotels fand Vicky Lord keinen Schlaf.
Sie müsste doch diesen ersten sorgenfreien Nachtschlaf seit Jacks und Lous Verschwinden eigentlich genießen. Immerhin waren sie jetzt in Sicherheit. Als sie erfahren hatte, dass die beiden in einem Hubschrauber abgestürzt und wahrscheinlich tot seien, hatte sie sich gefühlt, als wäre ein Teil von ihr gestorben. Fast sechsunddreißig Stunden lang war sie unfähig gewesen, aus dem Bett zu steigen.
Dann erfuhr sie, dass sie möglicherweise überlebt hatten, und ihre Erleichterung kannte keine Grenzen. Vor lauter Glück hatte sie sogar Lupes Wochenlohn um hundert Dollar erhöht.
Jetzt waren die beiden wieder da, wohlbehalten, in Sicherheit. Sie war darüber so froh gewesen, dass sie eine kleine Willkommensparty im Penthouse arrangiert und den Hotelvorrat an Dom Perignon und Cocktailshrimps aufgekauft hatte. Eine sehr nette Party … Aber Jack und Lou schienen die Geste nicht zu schätzen.
Was während der Party geschehen war und was
sie später in den Elf-Uhr-Nachrichten gesehen hatte, raubte ihr den Schlaf. Nicht einmal die Tabletten halfen ihr, die ihr der Doktor kurz vor der Hochzeit verschrieben hatte, weil sie so nervös gewesen war. Hellwach saß sie im Wohnzimmer des Penthouse, und das würde sich auch nicht ändern, solange sie an die verwirrenden, schrecklichen Neuigkeiten denken musste, die Jack ihr erzählt hatte.
Dass auf ihn geschossen worden war.
Nicht nur das, die Killer hatten ihn auch noch durch den Wald verfolgt und ihre Waffen auf ihn gerichtet. Offenbar war der Pilot bei dem Absturz gar nicht gestorben. Das hatte einer der lokalen TV-Sender in einer Sondersendung bestätigt.
»Im Fall um den Absturz des Helikopters, in dem der
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