Perfekte Manner gibt es nicht
einer Limousine und dann zu seinem geheizten Wohnwagen am Set gehen sollen. Und sie hätte herumgestanden und
sich die Zehen abgefroren und Tim Lord auszureden versucht, eine Umweltkatastrophe zu verursachen, nur um möglichst realistisch ihr Drehbuch umzusetzen …
Und da verstand sie die Bedeutung seiner Worte. »Meinen Sie … so wie Vicky mitgeteilt wurde, Elijah sei krank?«
»Genau.« In seinem attraktiven Gesicht erschien wieder einmal dieser Ausdruck schwacher Belustigung.
»Also hätte ich meine Nachrichten abhören sollen, bevor ich in diesen blöden Hubschrauber …« Ihre Stimme erstarb.
»Dann wären Sie jetzt in Anchorage. In Sicherheit.«
Lou betrachtete den qualmenden Helikopter, die Narbe, die er in den Schnee gerissen hatte, die erstaunte Miene des Piloten, der am Boden lag. Er atmete hörbar, den Mund leicht geöffnet. Er schnarchte nicht. Aber die Atemzüge klangen mühsam. Sie wandte sich wieder zu Jack. So cool und selbstbewusst in seiner Lederjacke und den Jeans … Er sah nicht so aus, als würde sein Arsch – wie ihrer – allmählich abfrieren. Und er sah nicht so aus, als würde es in seinem Kopf schmerzhaft hämmern, so wie in ihrem. Er sah nicht so aus, als würde es ihn auch nur im Mindesten stören, in den Wäldern Alaskas festzusitzen, ohne funktionsfähiges Handy, Lebensmittel und ein trockenes Plätzchen, wo man sich hinsetzen konnte.
Hätte sie ihre Nachrichten rechtzeitig gecheckt, würde sie jetzt mit Vicky im Hotel sitzen, Zeitschriften lesen, beim Zimmerservice Hamburger und Karamelleis bestellen und den Lifetime-Filmkanal einschalten.
Vielleicht würden sie sich sogar And I Alone Survived anschauen und darüber lachen. »Verdammt!«, platzte sie wütend heraus. Ihre Augen brannten. Vielleicht vor Kälte. Aber eher, weil das Leben so furchtbar ungerecht war.
»Andererseits«, sagte Jack, diesmal ohne ironischen Unterton, »hätten Sie Ihre Nachrichten abgehört, wäre ich jetzt tot.«
Verblüfft blinzelte sie ihn an. »Was?«
»Dann wäre ich jetzt tot«, wiederholte er so seelenruhig, als würde er seiner Assistentin sagen, was er zum Lunch essen wollte. »Sie haben mir das Leben gerettet.«
In ihrer Verwirrung sprach sie den ersten Gedanken aus, der ihr durch den Kopf ging – es war ein Protest. »Nein, das habe ich nicht getan.«
»Tut mir leid, dass ausgerechnet ich Sie drauf hinweisen muss. Aber es stimmt, Sie haben es getan.«
Ihre Augen verengten sich. Scherzte er? Oder meinte er es ernst? Er ließ es sich nicht anmerken. Natürlich war das ein Problem bei Jack Townsend. Nun, eines von vielen. Sein Humor war so trocken, dass man niemals wusste, wie er etwas meinte.
So wie jetzt. Glaubte er allen Ernstes, sie hätte sein Leben gerettet? Hatte sie das getan? Nein. Wohl kaum. Vielleicht ihr eigenes Leben … Sicher, das hatte sie getan. Denn warum sollte sie das Leben eines eingefleischten Egoisten retten, der sich vor einer festen Bindung fürchtete?
»Wieso haben Sie daran gedacht?«, fragte er plötzlich. Zumindest fand Lou das ziemlich unvermittelt.
»Woran?«
»An die Leuchtpistole«, erklärte er langsam und geduldig, als würde er mit einer Schwachsinnigen reden.
»Oh.« Die Leuchtpistole. Klar. » Der Frühstücksclub .«
»Wie bitte?«, fragte er verwundert.
» Der Frühstücksclub «, wiederholte sie, und diesmal betonte sie jede einzelne Silbe. »John Hughes, 1985. Anthony Michael Hall kriegt in dem Film Ärger, weil er eine Leuchtpistole in die Schule mitnimmt. Er wollte sich damit umbringen. Aber versehentlich explodiert das Ding in seinem Schließfach. Erinnern Sie sich?« Aufmerksam beobachtete sie Jacks Gesicht, um festzustellen, ob ihm ein Licht aufging. »Der gleiche Regisseur hat auch Das darf man nur als Erwachsener gedreht.«
»Tut mir leid«, antwortete er so höflich, als würde er beim Essen eine zweite Portion ablehnen. »Allzu oft gehe ich nicht ins Kino.«
Für ein paar Sekunden vergaß Lou, dass sie das Opfer eines Mordversuchs und eines Hubschrauberabsturzes war. Fassungslos starrte sie ihn an, als hätte er soeben etwas getan, das überhaupt nicht zu seinem maskulinen Image passte – zum Beispiel einen Champagnercocktail bestellt oder im Falsett »I feel pretty« gesungen. »Hören Sie mal, Sie sind ein Schauspieler! «, rief sie. »Und Sie erzählen mir, Sie würden nicht allzu oft ins Kino gehen?«
Wieder einmal zuckte er lässig die Schultern. »Nun ja, das gehört zu den Nachteilen dieser Branche. Wenn man die
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